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Danach

Danach

Titel: Danach
Autoren: Koethi Zan
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zuzuschreiben.
    Schließlich hatte ich Bob, den Pförtner, und eine ganze Stadt voller Retter, die tief unter meinem Fenster als schemenhafte Gestalten den Broadway entlangeilten und einkauften, lachten oder plauderten, nicht ahnend, dass sich elf Stockwerke über ihnen ein zehn Jahre altes Drama wiederholte. Ich gegen mich selbst, ein erbitterter Zweikampf.
    Ich nahm den Umschlag in die Hand und zog vorsichtig einen Bogen dünnes Papier heraus. Der Stift war so heftig durchgedrückt worden, dass ich die Buchstaben auf der Rückseite spürte, wie Blindenschrift. Spitze Buchstaben. Nichts Geschwungenes, nichts Weiches.
    Jennifer war kaum ein paar Tage aus dem Keller verschwunden gewesen, als er angefangen hatte, mich zu verhöhnen. Am Anfang hatte ich noch Hoffnung gehabt. Vielleicht war ihr die Flucht gelungen, und sie holte nun Hilfe? Stundenlang malte ich mir aus, wie sie sich losgerissen hatte, stellte mir vor, sie stünde in diesem Moment jenseits der Kellerwände, neben einer Einheit Polizisten, die mit gezogener Waffe das Haus umstellten. Mir war klar, wie unwahrscheinlich das war, hatte sie doch das letzte Mal, als er sie mit verhülltem Kopf und aneinandergeketteten Armen aus der Kiste gezerrt hatte, kaum noch die Kraft gehabt, die Treppe hinaufzukriechen. Aber ich konnte nicht aufhören zu hoffen.
    Jack überließ mich zunächst meiner Phantasie, bis mir dämmerte, worin seine Strategie bestand. Er fing an, mir wissend zuzulächeln, wenn er herunterkam, um uns Essen oder Wasser zu bringen, so als teilte er mit mir ein Geheimnis. Außerdem gab er mir jeden Tag eine Extraration, wie um mich als Belohnung für irgendetwas wieder aufzupäppeln. Christine und Tracy begannen mich mit Argwohn zu betrachten. Sie klangen reserviert, wenn sie mit mir sprachen.
    Zunächst ärgerte ich mich über diese neue Art der Folter, aber dann war sie der Ursprung einer Idee, die meine Rettung werden sollte.
    Zwei Monate nachdem er mit meiner »Sonderbehandlung« begonnen hatte, teilte er mir mit, dass er sie getötet habe, eine Tat, die in seinem verzerrten Wertesystem vermutlich sogar als barmherzig durchging. Ich konnte die Leere, die in diesem Moment in meinem Inneren entstand, nicht fassen, wie ein schwarzer Vorhang senkte sie sich über das beleuchtete Bühnenbild unserer Kellerexistenz herab. Obwohl Jennifer seit über zwei Jahren kein Wort mehr gesagt und ich ihr Gesicht wegen der schwarzen Haube, die sie ständig tragen musste, seit über einem Jahr nicht mehr gesehen hatte, hatte ihre Anwesenheit doch meine tägliche Existenz bestimmt. Sie war da gewesen, stumm, wie eine Gottheit.
    Wenn Tracy oben bei ihm war und Christine schlief, konnte ich ihr gefahrlos alles zuflüstern, was mir in den Sinn kam: Gebete, flehende Worte, Träumereien, Erinnerungen an unser früheres Leben. All diese Dinge schwebten durch die Dunkelheit zu ihr hinüber, zu meiner stummen Göttin in der Kiste. Vielleicht lag es daran, dass ihr Leiden so viel größer war als meines, jedenfalls gab sie mir eine Perspektive, die mich weiterkämpfen ließ, die mich am Leben hielt.
    Er hatte seine helle Freude an dem Schmerz auf meinem Gesicht, als er mir von ihrem Tod erzählte. Vergeblich versuchte ich, ihn zu verbergen. Beinahe drei Jahre lang war es ihm gelungen, meine Liebe zu ihr in die regelmäßigen Strafen einzubinden, mit denen er mich bedachte. Wenn ich mich ausnahmsweise einmal gegen ihn zur Wehr setzte und selbst Schmerzen mich nicht zum Einlenken brachten, wusste er genau, dass er nur drohen musste, ihr noch mehr weh zu tun, als er es ohnehin schon tat. Vermutlich machte er mit ihr dasselbe, aber sicher wusste ich es nicht, weil Jennifer und ich nie wieder miteinander sprachen. Er hielt sie gefesselt und geknebelt in der Kiste. In der Anfangszeit im Keller bestand unsere einzige Kommunikation in einem primitiven Code, den sie an die Seitenwände ihrer Kiste klopfte. Nach wenigen Monaten hörte auch das Klopfen auf.
    Natürlich endete mein Leid nicht mit Jennifers Tod, dafür sorgte er. Besonders gerne beschrieb er mir, wie er sie manchmal wieder ausgrub, um sie anzusehen. Sie sei so schön gewesen im Tod, dass er diese Schönheit noch einmal sehen wolle, selbst wenn das Graben Stunden in Anspruch nehme. Er liebte es, mir zu erzählen, dass er bei ihrer Ermordung aufgepasst habe, ihr hübsches Gesicht nicht zu beschädigen, das besser als jedes andere Gesicht den Schrecken und die Einsamkeit der Gefangenschaft zum Ausdruck gebracht habe. Wegen
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