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Damon Knights Collection 7

Damon Knights Collection 7

Titel: Damon Knights Collection 7
Autoren: Damon Knight
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befestigten Luftballon. Auf die leuchtend rote Gummihülle war ein primitives Mickymausbild gedruckt. Er ließ es in der Vase stehen und sah Tag um Tag zu, wie es schwankte, schrumpelte und das Tierge sicht zu einem schwarzen, kleinen, faltigen Etwas wur de.
    Das nächste Mal waren es abgerissene Fahrkarten, zwei an der Zahl, von der Fähre zwischen Kabata und Üsküdar.
    Bis zu diesem Augenblick hatte er sich eingeredet, er müsse lediglich bis zum Frühjahr durchhalten. Er war auf eine Belagerung vorbereitet und hielt einen direkten Angriff für ausgeschlossen. Nun erkannte er, daß er sich einem offenen Kampf stellen mußte.
    Obgleich es erst Mitte Februar war, unterstützte das Wetter seinen verspäteten Entschluß durch ein paar schöne Tage mit blauem Himmel und unzeitgemäßer Wärme, die sogar einigen unachtsamen Bäumen vorzeitige Blüten entlockte. Er durchwanderte noch einmal das Topkapi und betrachtete mit respektvollem, aber wenig sachkundigem Interesse das mattgrüne Porzellan, die goldenen Schnupftabakdosen, die perlbestickten Kissen, die Miniaturbildnisse der Sultane, den versteinerten Fußabdruck des Propheten und die Iznik-Fliesen. Da lag es alles vor seinen Augen ausgebreitet im Überfluß, in Mengen: Schönheit. Wie ein Verkäufer, der Preisschilder an seine Waren hängt, verlieh er provisorisch den verschiedenen Ausstellungsgegenständen dieses sein beliebtestes Prädikat und trat dann ein oder zwei Schritt zurück, um zu sehen, wie gut oder schlecht es dazu »paßte«. War dies schön? Oder jenes?
    Seltsamerweise war nichts davon schön. Die ganzen unschätzbaren Kostbarkeiten lagen da auf ihren Regalen hinter dickem Glas und waren ebenso unscheinbar wie die abgeschabten Möbel in seinem Zimmer.
    Er versuchte es mit den Moscheen: Sultan Ahmed, Beyazit, Schehasade, Yeni Cami, Laleli Cami. Die alte Verzauberung, die vitruvianische Einheit von »Räumlichkeit, Festigkeit und Entzücken«, hatte sich ihm noch nie so absolut entzogen. Nicht einmal zum Schock vor der Gewaltigkeit war er mehr fähig, der staunenden Bewunderung eines Bauern mit offenem Mund vor den dicken Säulen, den hohen Kuppeln. Wohin er sich auch in der Stadt wandte, er konnte sich nicht von seinem Zimmer befreien.
    Dann kamen die Landwälle, wo ihm noch vor Monaten so war, als berühre er den Saum des Gewandes der Vergangenheit. Er stand am selben Platz wie damals, dort, wo Mehmet der Eroberer die Mauern gestürmt hatte. Fünfergruppen der granitenen Kanonenkugeln zierten das Gras; sie erinnerten ihn an den roten Luftballon.
    Als letzten Versuch kehrte er nach Eyup zurück. Der vorzeitige Frühling hatte einen zarten Höhepunkt erreicht, und die Februarsonne reflektierte mit täuschender Helligkeit von den Tausenden von Facetten der weißen Steine, die den steilen Hügel bedeckten. Kleine Herden von drei oder vier Schafen weideten zwischen den Gräbern. Die turbangekrönten Marmorpfeiler standen schief in allen Richtungen bis auf die vertikale (die den Zypressen vorbehalten blieb) oder lagen wahllos übereinander. Keine Wände, keine Decken, kaum ein Pfad durch das Durcheinander: so war es höchst abstrakte Architektur. Sie schien ihm über die Jahrhunderte nur deshalb so übereinandergetürmt worden zu sein, um die Theorie seines Buchs zu rechtfertigen.
    Und es wirkte. Es wirkte bestens. Sein Geist und sein Auge erwachten zu neuem Leben. Ideen und Vorstellungen deckten sich. Das schattenwerfende, schräge Licht des späten Nachmittags streichelte den durcheinandergewürfelten Marmor mit einer kalten, behutsamen Hand wie ein Friseur, der letzte Hand an eine kunstvol le Frisur anlegt. Schönheit? Hier war sie, in Vollendung.
    Am nächsten Tag kehrte er mit seinem Fotoapparat zurück, den er nach einer zweimonatigen Pause von der Reparatur abgeholt hatte. Um sicherzugehen, hatte er den Optiker gebeten, den Film einzulegen. Er komponierte jedes Bild mit mathematischer Gründlichkeit, beschäftigte sich lange mit der Tiefenschärfe, hockte sich unter oder auf Grabsteine um des besseren Bildausschnitts willen, überprüfte die Einstellung vor jeder Aufnahme anhand des Belichtungsmessers und verzichtete absichtlich auf malerische oder effektvolle Lösungen. Trotz dieser Anstrengungen hatte er für zwanzig Aufnahmen weniger als zwei Stunden gebraucht.
    Er ging zu dem kleinen Café oberhalb des Friedhofs hinauf. Wie im Hachette respektvoll erwähnt, pflegte der große Pierre Loti an Sommerabenden hier zu verweilen, ein Glas Tee zu trinken
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