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Damiano

Damiano

Titel: Damiano Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. A. MacAcoy
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überhaupt nicht sehen konnten oder wollten. Bei Vollmond waren auch seine übrigen Sinne geschärft, und seine Gefühle gerieten meist ziemlich in Aufruhr.
    Guillermo Delstrego hatte gesagt, Hexer seien wie Frauen mit ihren Monatszyklen. Damiano hatte den Scherz ausgesprochen geschmacklos gefunden.
    An diesem Abend stand der Mond in seinem dritten Viertel. Damiano fühlte sich so schwer und träge wie ein mit Wasser vollgesogener Holzblock. Die vergangenen drei Nächte hatte er, auf einem harten Stuhl sitzend, um nur ja nicht einzunicken, seine Mixtur, das schleimlösende Mittel, überwacht. An diesem Morgen war das Gebräu fertig gewesen, Damiano hatte ein Bad genommen und war dann unverzüglich ins Arbeitszimmer zurückgekehrt, um seine Stunde bei Raphael zu nehmen. Er würde gewiß nicht die Nacht durch marschieren können.
    Außerdem lag das Wickenfeld gut zweieinhalb Tagesmärsche entfernt. Wie hatten die Bürger diese Strapaze ausgehalten, mit den alten Frauen und kleinen Kindern, und mit Alfonso Berceuse, dem Einbeinigen?
    Die Straße in die Berge war auch die Straße nach Aosta – eine gute, breite Straße, die fast das ganze Jahr offen war. Wieso hatte er nichts gehört? Wieso hatte ihm niemand etwas gesagt? Es war traurig zu denken, daß sie alle einfach auf und davon gegangen waren, ohne an Damiano zu denken, der ganz allein, ohne Fanlilie und ohne Dienerschaft, nächtelang damit zugebracht hatte, um die Medizin für sie zu brauen.
    Damiano wurde von Selbstmitleid geschüttelt. Er haßte es, vergessen zu werden. Und den Gedanken, daß sie ihn absichtlich zurückgelassen hatten, konnte er nicht ertragen. Und jetzt waren schon drei Zehen an seinem rechten Fuß völlig taub.
    Aber Pater Antonio hatte ihn bestimmt nicht mit Absicht zurückgelassen. Seit Delstregos Tod war Pater Antonio sehr besorgt um Damiano gewesen und hatte des Abends oft stundenlang mit ihm im Pfarrhaus gesessen. Der ehrwürdig Pater hielt es für besser, das Haus Delstrego zu meiden, obwohl er wußte, daß Damiano dort nichts Frevlerisches tat. Sie hatten gewürzten Wein getrunken und dabei über die Theologie und die Heilige Mutter Kirche gesprochen. Darüber schien Pater Antonio weit mehr zu wissen als jeder andere, dem Damiano je begegnet war. Mehr als Raphael zum Beispiel. Pater Antonio war ein Mensch, der nie einen anderen vergaß – auch nicht den geringsten unter den Mitgliedern seiner Gemeinde, ob es ihm nun gut ging oder schlecht. Wenn er ohne Damiano fortgezogen war, dann, weil er geglaubt hatte, Damiano wäre bereits fort.
    Und warum hätte er das nicht glauben sollen? Damiano hatte ja drei Tage lang keinen Fuß vor die Tür gesetzt, keine Kerze entzündet, kein Feuer entfacht außer dem, das unter dem Kessel brannte. Er hatte keinen Anlaß, sich übergangen zu fühlen.
    Dennoch, ob man ihn nun vergessen hatte oder nicht, er mußte schlafen. Er hob den Blick zu den rundkuppigen Hügeln zu beiden Seiten der Straße. Von unberührtem Schnee bedeckt, schienen sie ein schwaches Licht auszustrahlen. Damiano kannte die Gegend genau, hatte aus seiner Kindheit jede Einzelheit im Gedächtnis behalten. Er wußte, daß in dem dritten Hügel hinter der Straße, in dem mit dem Buckel auf der Seite, eine lange, schmale Höhle verborgen war, die fast ganz trocken war. Er wußte auch, daß man vom Gipfel dieses Hügels Partestrada im Tal liegen sehen konnte und den Evançon, der unterhalb dieser Straße vorüberfloß. Er hatte oft im abendlichen Zwielicht dort oben gestanden und zugesehen, wie unten in der Stadt eines nach dem anderen die Lichter aufgeflammt waren.
    Nachdem er ein Stück durch den schneeschweren Stechginster gestapft war, drehte er sich um und betrachte die Spuren, die er zurückgelassen hatte. Er brauchte sich nicht damit abzumühen, sie zu verwischen, der Wind erledigte das für ihn. Die kleinen Pfotenabdrücke von Macchiata waren schon halb verweht.
    Ein Glück. Damiano war sich nicht sicher, daß er noch genug Kraft hatte, einen Windzauber zu bewirken.
    »Was machen deine Füße, Macchiata?« fragte er die Hündin und hatte Mühe, die Worte über die froststarren Lippen zu bringen.
    Sie antwortete, sie könne sich nicht erinnern. Das sollte vermutlich ein Scherz sein, obwohl man das bei Macchiata nie genau wissen konnte. Er hörte sie hinter sich, wie sie sich durch das niedrige Gestrüpp kämpfte.
    Auf der Höhe des Hügels blieb er stehen und blickte ins Tal. Er hielt den Stab so fest, wie seine eiskalten Hände es

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