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Damals im Dezember

Damals im Dezember

Titel: Damals im Dezember
Autoren: Richard Paul Evans
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Unternehmen aufgebaut haben.«
    »Was soll dieses ›uns‹? Du gehörst nicht mehr dazu, Luke. Der Name Crisp ist eine Marke, mehr nicht. Und die Entscheidungen, die dein Vater getroffen hat, haben Leuten geschadet – Leuten, deren Interessen zu vertreten er moralisch und ethisch verpflichtet war. Man nennt sie Aktionäre. Und wenn es den Mitarbeitern nicht gefällt, können sie woanders arbeiten. Erinnere dich daran, was du vor nicht allzu langer Zeit gesagt hast: dass wir kein Wohltätigkeitsunternehmen sind.«
    »Ich habe mich damals in vielen Dingen geirrt.«
    »Nun, das ist wahr, aber belanglos.«
    »Du hast die ganze Zeit gehofft, dass ich gehen würde, stimmt’s?«
    »Auch das ist wahr, aber belanglos.« Er sah auf seine Uhr. »Es war schön, dich wiederzusehen, Luke, aber ich muss mich beeilen. Die Suns spielen heute Abend.« Er drückte auf einen Knopf an seiner Gegensprechanlage. »Brandi, bitte sorge dafür, dass der Sicherheitsdienst Mr Crisp aus dem Gebäude geleitet.«
    »Nicht nötig«, sagte ich und wandte mich ab, um hinauszugehen.
    »Luke«, rief Henry.
    Ich drehte mich um.
    »Gegen das Karma kann man nichts machen.«
    Ich sah in sein dummes, grinsendes Gesicht. Dann verließ ich sein Büro.
***
    Noch bevor ich in mein Auto stieg, wusste ich, was ich zu tun hatte. Es gab keinen anderen Weg. So schwierig es auch sein würde, ich hatte keine Wahl. Ich musste meinem Vater gegenübertreten.

Siebenundvierzigstes Kapitel
    Ich trete der schwierigsten Sache in meinem Leben gegenüber – meinem eigenen größten Versagen.
    Aus dem Tagebuch von Luke Crisp
    Fast eine Stunde saß ich vor dem Haus meines Vaters im Auto und sammelte meine Gedanken oder meinen Mut – ich weiß nicht recht, was von beidem. Vielleicht zögerte ich den Moment auch nur hinaus. Ich hatte mehr Angst, meinem Vater gegenüberzutreten, als irgendjemandem oder irgendetwas sonst. Du bist für ihn gestorben. Henrys Worte hallten in meinem Kopf wider, und ich empfand eine brennende Schuld. Ich musste meinen Vater auf unvorstellbare Weise verletzt haben, dass er mich für tot erklärt hatte.
    Mein Vater war so großzügig und gut, wie man es sich nur vorzustellen vermochte, aber er konnte auch hart und scharfzüngig sein. Er ertrug keine Dummköpfe, und ich war ein Dummkopf der schlimmsten Sorte. Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass ich an seine Tür geklopft hätte, wenn es bei meinem Besuch nur um mich selbst gegangen wäre. Aber so war es nicht. Ich war wegen Menschen gekommen, die mir wichtiger waren als ich mir selbst. Ich hoffte, dass er mir zuhören würde. Ich hoffte, dass er mich nicht sofort hinauswarf, sondern mich erst einmal sagen ließ, was ich zu sagen hatte.
    Ich ging den gepflasterten Weg hoch und trat auf die Stufe vor der Tür. Bevor ich es mir anders überlegen konnte, streckte ich die Hand aus und drückte auf die Klingel. Es war ein merkwürdiges Gefühl, an dem Haus zu klingeln, in dem ich aufgewachsen war – an einer Tür, die ich nach der Schule millionenfach zugeschlagen hatte.
    Es erschien mir wie eine Ewigkeit, bis die Tür von einer Frau mittleren Alters geöffnet wurde, die ich nicht kannte. »Was kann ich für Sie tun?«, fragte sie. Aber bevor ich etwas sagen konnte, verengten sich ihre Augen. »Sie sind Luke.«
    Ich fragte mich, wer sie war und wo Mary war.
    »Ich bin hier, um meinen Vater zu sehen«, erklärte ich. »Sagen Sie ihm, dass ich nicht lange bleiben werde.«
    Sie musterte mich noch einen Moment lang, dann trat sie zurück. »Ich werde Ihrem Vater sagen, dass Sie hier sind.«
    Sie ging fort, und ich trat in die Diele. Irgendwie erschien mir das Haus fremd – die Vertrautheit war verschwunden. Aber wie konnte das sein? Vielleicht war es auch gar nicht so, sondern etwas in meinem Inneren war verschwunden. Als die Frau nicht zurückkam, begann ich daran zu zweifeln, dass mein Vater bereit war, mich zu empfangen. Und während die Minuten verstrichen, wurden meine Zweifel zur Gewissheit. Natürlich war er nicht dazu bereit. Ich war für ihn gestorben. Tote lässt man am besten in ihren Gräbern ruhen.
    Ich fragte mich, was ich tun sollte, doch dann kam die Frau in die Diele zurück. »Ihr Vater befindet sich in seinem Arbeitszimmer.«
    Ich murmelte ein kurzes Danke und ging durch den Flur am Speisezimmer vorbei. Vor dem Arbeitszimmer meines Vaters brannte nie Licht. Ich öffnete langsam die Tür. In dem Raum war es ebenfalls schummrig; es brannten lediglich ein paar Steh- und Schreibtischlampen,
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