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Dämonisches Tattoo

Dämonisches Tattoo

Titel: Dämonisches Tattoo
Autoren: B Melzer
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vermutlich das Leben gerettet hatte. Seine Hand war dort, wo er mit dem Strom in Kontakt gekommen war, verbrannt, würde jedoch bis auf ein paar Narben vollständig heilen.
    Als er nach ein paar Tagen die Augen aufschlug, wenn auch nur für wenige Herzschläge, nährte das ihre Hoffnung, dass alles gut werden würde – trotzdem gaben die Ärzte noch keine Entwarnung. Er war zu schwach, schwächer, als er sein sollte, und die Phasen, in denen er zu sich kam, waren zu kurz, um mehr über seinen Zustand sagen zu können.
    Kate war Tag und Nacht an seiner Seite. Jemand hatte ihr ein Klappbett ins Zimmer gestellt, die meiste Zeit jedoch saß sie in einem Sessel neben seinem Bett, in dem sie auch schlief. Sie hielt Chase’ Hand und redete auf ihn ein, flehte ihn an, gesund zu werden und sie nicht allein zu lassen, und wann immer ihr die Stimme unter ihren Gefühlen zu ersticken drohte, zwang sie sich, ihm eine Geschichte zu erzählen. Belanglose Märchen, die sie aus ihrer Kindheit kannte und die ihn wissen lassen sollten, dass sie noch immer da war. Ihre Stimme sollte sein Anker sein, an dem er sich festhalten und – sobald er dazu bereit war – ins Leben zurück-finden konnte.
    Am Abend des vierten Tages hatte er einen Atemstillstand. Die Ärzte konnten sich den Ursprung nicht erklären und hatten alle Hände voll zu tun, ihn am Leben zu erhalten. Letztlich waren sie gezwungen, zu intubieren und ihn künstlich zu beatmen. Anfangs glaubte Kate, der Erstickungsanfall sei eine Folge des Stromschlags, doch so schnell er gekommen war, so schnell war er auch wieder gegangen, und Chase war imstande, wieder aus eigener Kraft zu atmen. Erst als Munarez am Abend kam, um nach Chase zu sehen, erfuhr sie den wahren Grund für seinen Anfall: Ben Summers hatte versucht, sich in der Toilette des Gefängniskrankenhauses zu erhängen. Dieses Mal hatten die Ärzte sein Leben gerettet – ebenso wie Chase’ –, doch Kate wusste, dass es jederzeit wieder geschehen konnte. Beim nächsten Mal hatten sie womöglich nicht so viel Glück.
    In ihrer Verzweiflung rief sie Joseph Quinn an. Sie erzählte ihm, was geschehen war, und bat ihn darum, die Verbindung zwischen Chase und Summers aufzuheben. Nicht einmal eine Stunde später betrat der Indianer das Krankenzimmer. Sein Großvater folgte ihm in den Raum und schloss die Tür hinter sich. Kate war froh, zu sehen, dass es dem alten Mann gut ging. Er hatte seine Gefangenschaft weit besser überstanden als die arme Margret Wilkes. Nachdem Summers ausgeschaltet war, hatte ein Polizist den alten Indianer im Büro der Fabrik gefunden, gefesselt und geknebelt in einen Besenschrank gesperrt.
    Die beiden Männer trugen den Tisch vom Fenster zum Fußende des Bettes und breiteten darauf ihre mitgebrachten Utensilien aus. Als die Schwestern bemerkten, dass die Indianer etwas im Schilde führten, musste Kate die Tür verbarrikadieren, um sie daran zu hindern, Quinn und seinen Großvater hinauszuwerfen.
    Wie gebannt verfolgte sie den Ritus der beiden Männer. Eine Räucherschale verströmte einen intensiv süßlichen Kräutergeruch, der das Zimmer bald bis in den letzten Winkel erfüllte. Unter fremd klingenden Gesängen verbrannten sie weitere Kräuter zu Asche und rührten damit eine Paste an. Noch immer singend und rezitierend hob Quinn Chase an und legte seinen Rücken frei, während sein Großvater die Paste auf den ursprünglichen Kern des Tattoos auftrug. Der Gesang steigerte sich zu einem drängenden Stakkato, ehe er abrupt endete.
    »War es das?«, wollte Kate gerade fragen, doch die Worte blieben ihr im Hals stecken, als sie den dünnen Nebel sah, der von Chase’ Rücken aufstieg und sich in der Luft verflüchtigte.
    Mit einem letzten Blick auf das Tattoo nickte Quinn zufrieden. »Das war es.«
    Kate erkannte sofort, was er meinte. Das Tattoo war auf seine ursprüngliche Größe zusammengeschrumpft. Dort, wo die verschlungenen Ranken vor wenigen Augenblicken noch seinen gesamten Rücken überzogen hatten, war nichts mehr davon zu sehen. Die Haut war unversehrt, als sei nichts gewesen.
    Zwei Tage nachdem Quinn und sein Großvater die Verbindung aufgehoben hatten, unternahm Summers einen weiteren Selbstmordversuch. Dieses Mal mit Erfolg. Chase erlangte am nächsten Tag sein Bewusstsein endgültig zurück. Sein Zustand war stabil.
    Nachdem er über den Berg war, begann Kate wieder zu arbeiten – sie hätte es vorgezogen, auch weiterhin bei Chase zu bleiben, doch sie musste ihre Miete bezahlen.
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