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Da vorne wartet die Zeit: Roman (German Edition)

Da vorne wartet die Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Da vorne wartet die Zeit: Roman (German Edition)
Autoren: Lilly Lindner
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ein Wort. So still war es noch nie in diesem Raum. Denn hier entsteht schon seit Jahren der Soundtrack der Stadt am Waldrand, hier haben die Rejected by choice all ihre Songs einstudiert und fünf Nummer-eins-Hits in Folge gefeiert.
    Aber an diesem Tag ist niemandem zum Feiern zumute.
    Und auch die Stille will keiner vertreiben.
    Es ist das letzte Stück der Vergangenheit.
    An das sie sich klammern.
    Denn seit Lincoln Reed an seinem Herzfehler gestorben ist, haben sie keinen einzigen Auftritt mehr gehabt, sie haben alle Interviews abgesagt, alle Proben eingestellt und keinen gemeinsamen Akkord mehr gespielt. Jedes Wort, das sie miteinander gewechselt haben, klang fremd und unvollständig. Fast jeder Satz, den sie sagen wollten, wurde mittendrin unterbrochen und durch ein hässliches Schweigen übertönt.
    Zwei Monate lang.
    War es totenstill in diesem Raum.

Rejected by choice.
Chosen to be.
Silent.

    Das hat irgendwer quer über die Tür der Bandgarage gekritzelt. Keiner weiß, wer es gewesen sein könnte. Und selbst wenn es irgendwer wüsste, dann wäre es egal. Denn jeder hätte es sein können, und jeder hätte recht damit gehabt.
    Was ist Abgeschiedenheit?
    Wenn man sie gemeinsam wählt.
    Was ist Stille?
    Wenn sie einen auserwählt.
    Und was reflektiert den Raum hinter unseren Gedanken – was blendet uns aus oder ein oder verblendet unser Gewissen? Was ist Resolution ohne Definition der erstrebenswerten Ziele? Was ist das Rückgrat einer verbogenen Handlung? Was ist Leben, frei von Tod? Was ist Tod – hier und jetzt und irgendwann später?
    Keiner weiß eine Antwort.
    Alle stehen nur stumm da.
    Im Gedenken an Lincoln.

    Schließlich tritt Mike einen Schritt auf das Mikrofon zu. Bisher war er die zweite Stimme, aber jetzt wird er den Hauptpart übernehmen. Er ist unsicher; denn er weiß zwar, dass er alle Töne trifft, aber er weiß auch, dass niemand auf der Welt so geradlinig in die Herzen der Menschen trifft wie seinerzeit Lincoln – der Junge mit den Stimmbändern, die alles zusammenhielten.
    Mike schluckt einmal.
    Hinter ihm stolpert Flow über ein Kabel.
    Doyle trommelt unruhig mit einem Finger in der Luft herum.
    Levin starrt durch die Wand hindurch bis in die weiten Wälder.
    So kann es nicht weitergehen.
    So wird nie wieder irgendetwas gehen.
    Und Mike, der Lincoln ein ganzes Leben lang gekannt hat, weiß ganz genau, dass sein bester Freund sich niemals von dem Nachhall einer einschlägigen Stille vertreiben lassen hätte. Also geht Mike einen letzten Schritt auf das Mikrofon zu, er tritt so dicht heran, dass seine Lippen nur noch einen Millimeter davon entfernt sind.
    Dann schließt er seine Augen, streicht über die Saiten seiner Gitarre.
    Und stimmt.
    Den ersten Ton an.

    Es ist der Song, den Lincoln mit sechzehn geschrieben hat, damals, kurz bevor sie ihre erste Platte herausgebracht hatten. Es ist der Abschiedssong, den Lincoln Mike anvertraut hat, damals, als er erfahren hat, dass seine Zeit einem naheliegenden Grenzwert entgegensteuert.
    Es ist der Song.
    Der eine Woche später veröffentlicht wird.
    Und ein Jahr lang die Spitze der Charts anführt.
»Rest in pieces«
 
Death comes knocking, from time to time.
So we all keep running, from life to life.
But there in the shadows, death catches a boy
For all he knows – that is the end.
Life is something we all have for rent.
 
But as he struggles to resist to rest in pieces.
He replaces his voice, with a stronger one.
He repaves his heart from what he has done.
 
So what does he do, when he is not ready to rest?
I guess he will just do his best.
So what does he say, to resist his fear?
It’s everything you told him, dear.
And what does he do, with his restless soul?
He pulls it out and swallows it whole.
 
I guess he will fight to reset the time.
To not regret and say: I am fine.
I guess he will smile and laugh and cry.
And then he will finally.
Be. Ready to die.
    Draußen im Flur vor dem Proberaum sitzt ein wunderschönes Mädchen mit goldbraunem Haar und blauen Augen. Man sieht ihr an, dass sie einmal eines der erfolgreichsten Models der Welt gewesen ist.
    Und man sieht die Gezeiten.
    Die sich in ihren Gedanken spiegeln.
    Wider dem Ende. Und wieder.
    Und wieder.
    Serena White. Sie lauscht dem letzten Lied von Lincoln Reed, den letzten Worten seiner Zeit, den letzten Geständnissen an den einfordernden Tod und das nachsichtige Leben.
    Sie lächelt und lacht und weint.
    Sie erinnert sich an die Gegenwart.
    Und sie weiß: Es gibt ein
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