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Da liegt ein Toter im Brunnen - ein Krimi mitten aus der Provinz

Da liegt ein Toter im Brunnen - ein Krimi mitten aus der Provinz

Titel: Da liegt ein Toter im Brunnen - ein Krimi mitten aus der Provinz
Autoren: emons Verlag
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Verbandskasten steht immer bereit. Man weiß ja nie, was so alles passieren kann.«
    Als Jana Cerni mit einem großen Pflaster in der Hand vor Rubin stand und Maß für die korrekte Position nahm, stieg ihm unerwartet der seidige Duft ihres Parfums in die Nase.
    Für einen kurzen Moment war Rubin wie verzaubert, es war schon das zweite Mal an diesem Morgen. Seine Frau hatte beim Frühstück auch einen besonderen Duft verströmt, hell, leicht und frisch. Dessen Note nach Akazie, Immortelle und Orange hatte Erinnerungen an ihren letzten Urlaub auf Elba wachgerufen. Er schloss unwillkürlich die Augen und sah plötzlich wieder das in der Morgensonne glitzernde Mittelmeer, die Steilküste und die Zypressenhaine …
    Polizeiobermeister Schwarze riss ihn jäh aus seinen Tagträumen. Atemlos stand er in der Tür, sein Diensthandy ans Ohr gepresst. Mit weit aufgerissenen Augen rief er:
    »Da ist Hausmeister Schulte am Apparat!«
    »Schön, wann kann er kommen?«
    »Er sagt, es ist besser, wenn Sie kommen, Chef!«
    »Warum das?«
    »Wir haben einen Toten!«
    »Wo, in der Klinik?«
    »Nein, Chef, im Brunnen!«

2
    Mit Brunnen meinte Schwarze den Löwenbrunnen, das Wahrzeichen von Bad Löwenau, mitten auf dem beschaulichen Marktplatz mit dem alten, groben Kopfsteinpflaster, der Zierlinde mit Rundbank und den renovierten Fachwerkbauten.
    Der Löwenbrunnen war jedoch mehr als das rein symbolische Wahrzeichen der Stadt. Sein Inhalt war es, der den Ruf und den Reichtum von Bad Löwenau begründete. Denn das Wasser des Brunnens war kein gewöhnliches Wasser, sondern kostbares Heilwasser, dem unglaubliche Wunderdinge zugeschrieben wurden.
    Von der Polizeiinspektion bis zum Löwenbrunnen waren es keine fünfzig Meter. Ohne lange zu überlegen, stürzten Polizeiobermeister Schwarze und Jana Cerni nach draußen. Auch Freitag rannte los, kläffte und wedelte mit dem Schwanz. In seiner Begeisterung lief er Schwarze zuerst in den Laufweg, dann in die Beine. Der Beamte fluchte, Freitag bellte.
    Rubin blieb auf dem überdachten Treppenabsatz vor der zweiteiligen Tür der Polizeiinspektion stehen. Er schloss seinen Wollmantel, der vom Hinweg vor kaum einer Stunde noch feucht war, und zog einen festen Knoten in seinen Schal. Er spannte seinen Schirm auf und hörte, wie der Regen auf das Glasdach über der Tür trommelte.
    Er hatte sich seine Rückkehr anders vorgestellt – ruhiger und beschaulicher. Er hatte gehofft, mehr Zeit zu haben, sich wieder an die altbekannten Dinge gewöhnen zu können, die ihm jetzt seltsam fremd vorkamen.
    Doch daraus würde nichts werden. Da lag ein Toter im Brunnen. Er musste handeln.
    Der Marktplatz füllte sich allmählich mit Menschen. Kurgäste, Touristen und Einheimische näherten sich dem Löwenbrunnen und blieben angesichts des Toten darin entsetzt stehen. Kaum jemand wagte laut zu sprechen, sei es aus Pietät, Überraschung oder vor Entrüstung. Niemand wusste, was er tun sollte.
    Die meisten Menschen hatten leere Gefäße zum Abfüllen mitgebracht, Wasser- oder Milchflaschen aus Plastik, Tonkrüge, Einzelne sogar Einmachgläser mit Glasdeckel und roten Einmachgummis. Das Heilwasser war gratis, eine großzügige Geste der Stadt, die sich über die Jahre mehr als bezahlt gemacht hatte.
    Rubin trat zu Schwarze und Jana Cerni, die bei einem kleinen Mann mit riesigem Bauch und kleinem Kopf in altmodischer Arbeitsmontur standen: Hausmeister Schulte musste mittlerweile mindestens fünfundsiebzig Jahre alt sein.
    »Willkommen daheim, mein Junge«, sagte er mit listigem Blick. »Kennst mich doch noch, oder?«
    Rubin nickte. Schulte hatte seinerzeit am Gymnasium ein hartes Regiment geführt. Er musterte ihn und dachte: Schulte gehört zu den Menschen, die nur ein Alter haben, das sie vierzig Jahre unverändert mit sich herumtragen.
    »Kannst auch gleich mit der Arbeit anfangen, mein Junge. Sieht übel aus, der arme Kerl im Brunnen. Wenn ich behilflich sein kann, sag Bescheid.«
    »Am besten, du fängst gleich in der Polizeiinspektion an«, sagte Schwarze und kniff ein Auge zu.
    »Ach, habt ihr da neue Arbeit für mich?«, fragte Schulte gespielt überrascht. Mit Blick auf Rubins Pflaster auf der Stirn sagte er in einem warmen, freundlichen Ton: »Nix für ungut, Christoph, ich hoffe, es tut nicht allzu weh«, und weg war er.
    Rubin trat näher an den Brunnen; er spürte, dass Dutzende Blicke auf ihn gerichtet waren. Er glaubte sich sogar aus den hohen Fenstern der Fachwerkhäuser ringsum beobachtet, obwohl kein
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