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Da liegt ein Toter im Brunnen - ein Krimi mitten aus der Provinz

Da liegt ein Toter im Brunnen - ein Krimi mitten aus der Provinz

Titel: Da liegt ein Toter im Brunnen - ein Krimi mitten aus der Provinz
Autoren: emons Verlag
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Generatoren,
Wasserturbinen und sonstigen Aggregate, das sich mit dem alternierenden Klackediklack
von Ketten und Hebewerken der stählernen Schützen mischte. Trotzdem hatte jeder
Ton, jedes Geräusch, jeder noch so kleine akustische Effekt seinen Platz und
seinen Moment. Doch die seit Jahren ehern bestehende Ordnung hatte nun einen
Fehler bekommen. Beinahe unmerklich und dennoch im sensiblen Mittelohr von
Fritz Lohneis durchaus deutlich fand hier gerade eine Rebellion statt. Den Kopf
wie eine Radaranlage schwenkend bewegte er sich langsam so lange in die Tiefen
seiner Maschinerie hinab, bis sich in seinem Ortungssystem ein feines,
schleifendes Geräusch herauskristallisierte. Aus der Kakophonie von
Turbinengeräuschen versuchte Lohneis nun zielgerichtet den Ursprung der
akustischen Anomalie auszumachen.
    Und dann sah er es. Die Antriebseinheit des rechten Schützentores.
Ganz langsam, fast unheimlich bewegte sie sich. Aber das war doch unmöglich!
Die Schützensteuerung konnte nur er allein über die Hebel und Knöpfe oben im
Haus bedienen. Konnte es sein, dass ein dreifach gesichertes System von alleine
loslief?
    Über sich hörte er neues Ungemach. Der Hund schlug an. Was zum
Teufel war da los? Lohneis hastete die Leitern wieder nach oben und sprang mit
einem großen Schritt nach draußen. Links war der Steg über den Main in den
Schatten des Banzberges getaucht. Obwohl keine Menschenseele zu sehen war,
zerrte Murat, der Berner Sennenhund, wütend an seiner Kette und bellte, als
würde er eine Herde Gemsen verfolgen wollen.
    Dann hörte Lohneis das Rauschen. Die Schützen des rechten Wehrtores
hatten in ihrer Abwärtsbewegung die Wasserlinie des Überlaufs erreicht und
senkten sich noch weiter ab. Der Main begann sich in sein Bett zu ergießen, und
die Wassermassen verwirbelten sich dampfend am unteren Ende des betonierten
Auslaufs.
    Mit wenigen Schritten stand Lohneis wieder vor seinen Anzeigen. Die
Schützen fuhren unaufhaltsam nach unten. War es ein technischer Defekt, oder
lag eine ernst zu nehmende Fehlschaltung in den Tiefen der elektronischen
Bauteile vor? Er überlegte nur kurz, dann zertrümmerte er entschlossen den
ferrariroten Schutzdeckel des Notschalters und legte den schmiedeeisernen
Nothebel mit der großen, fetten Aufschrift » NOTAUS «
um. Zum ersten Mal in seinem Leben.
    Doch nichts passierte. Die Ketten ächzten zwar hörbar unter dem
gewaltigen Wasserdruck, doch sie verrichteten unverdrossen und konsequent ihre
ihnen zugedachte Arbeit weiter. Das Rauschen mutierte langsam in ein tosendes
Brüllen. Fritz Lohneis war verzweifelt. Das durfte doch wohl nicht wahr sein!
Siebenundzwanzig Jahre lang passierte hier überhaupt nichts, kein Blitzschlag,
kein Kamikazeflieger, nicht mal ein Tourist, der die Treppe hinuntergestürzt
wäre, und nun das. Darauf war er 1980 nicht vorbereitet worden, als er seinen
Dienst angetreten hatte.
    Dann fiel sein Blick auf die Axt an der Wand. Eigentlich war sie
dazu gedacht, Schwemmgut, das sich im Wehr verhakt hatte, zu zerteilen und zu
entfernen. Sie war schön und schwer, ihr blanker Eschenholzstiel glänzte. Das
letzte Mal hatte er sie vor einundzwanzig Jahren benutzt, als die alte Weide
vom gegenüberliegenden Ufer auf ein Auto gefallen war. Obwohl er den Baum in
kürzester Zeit zerteilt hatte, war dem Landtagsabgeordneten der CSU und seiner Gespielin damit freilich
nur wenig geholfen gewesen. Die beiden hatten sich einfach entschieden, zur
falschen Zeit unter dem falschen Baum einem Techtelmechtel nachzugehen, das
kein gutes Ende nehmen sollte. Um die Weide hatte es ihm damals wirklich
leidgetan.
    Jetzt nahm er mit einer flüssigen Handbewegung die Axt von der Wand
und stürmte zum grauen Verteilerkasten am Ende des Steges. Hastig fingerte er
den Hauptschlüssel aus seinem umfangreichen Schlüsselbund heraus und öffnete
zum ersten Mal in seinem Arbeitsleben den Verteilerkasten des Überlandwerks.
Schon die zweite Premiere an diesem Abend! Zwar konnte er vier armdicke
Kabelstränge ausmachen, die sich aus dem Boden des Kastens nach oben
schlängelten, um dann in großen, keramischen Verbindungseinheiten zu
verschwinden, zuordnen konnte er sie jedoch nicht. Es gab weder typische Farben
noch aufschlussreiche Beschriftung – nichts. Lohneis war mit seinem
Handwerkerlatein am Ende.
    Hinter ihm verschwand der Wehrsteg bereits in der aufgewirbelten
Gischt. Es half alles nichts. Er hob die Axt hoch über seinen Kopf, und mit
einem »Leckt mich doch alle am Arsch!«
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