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Cyberabad: Roman (German Edition)

Cyberabad: Roman (German Edition)

Titel: Cyberabad: Roman (German Edition)
Autoren: Ian McDonald
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sagte, haben die Agenten im Moment genug eigene Probleme, wenn sich eine Generation Drei in den Geheimdienstsystemen versteckt hat«, sagt Lisa Durnau. Das Kind lächelt ihr argwöhnisch zu. Was hast du, Lisa Durnau, dein ganzes Leben lang getan, das lebenswichtiger ist als das. »Sie werden sich irgendwann an mich wenden.«
    »Nun gut, dann gib ihnen das hier. Ich schätze, das bin ich dir schuldig, L. Durnau.«
    Thomas Lull reicht ihr die Lade. Lisa Durnau betrachtet stirnrunzelnd die Grafik.
    »Was ist das?«
    »Die Faltstruktur des Calabi-Yau-Raums, den die Gen-Dreier bei Ray Power geschaffen haben.«
    »Das ist eine Standardmenge von Transformationen für einen Informationsraum mit geistähnlicher Raumzeitstruktur. Lull, ich habe mitgeholfen, diese Theorien zu entwickeln, falls du dich erinnerst. Sie haben mir den Weg in dein Büro geebnet.«
    Und in dein Bett, denkt sie.
    »Erinnerst du dich, was ich auf dem Boot gesagt habe, L. Durnau? Über Kij. Dass es genau andersherum ist?«
    Lisa Durnau runzelt die Stirn, dann erfasst sie es, wie sie es von Gottes Hand auf der Toilettentür in der Paddington Station gesehen hat, und es ist so klar und rein und so wunderschön, dass es sich anfühlt wie ein Lichtspeer, der sie durchbohrt, der sie am weißen Stein aufspießt, und es fühlt sich wie der Tod und wie die höchste Ekstase an, wie etwas, das singt. Tränen treten ihr in die Augen, sie wischt sie fort, sie kann nicht aufhören, auf das einzelne wundersame leuchtende Negativzeichen zu blicken. Minus T. Der Zeitpfeil ist umgekehrt. Ein geistähnlicher Raum, in dem die Intelligenzen der Kaihs mit der Struktur des Universums verschmelzen können, um sie nach Belieben zu manipulieren. Je älter es wird, desto komplexer wird es, und unser Universum wird jünger und dümmer und einfacher. Planeten lösen sich in Staub auf, Sterne verdunsten zu Gaswolken, die sich zu kurzen Supernovae zusammenziehen, die nicht das Licht der Zerstörung, sondern die Kerzen der Schöpfung sind; der Raum kollabiert, wird immer heißer und verdichtet sich zum ursprünglichen Ylem, Kräfte und Partikel zerkochen im ursprünglichen Ylem, während die Kaihs an Macht, Weisheit und Alter gewinnen. Der Zeitpfeil fliegt in die andere Richtung.
    Mit zitternden Händen ruft sie eine einfache Mathematik-Kaih auf, führt ein paar schnelle Transformationen durch. Wie sie vermutet hat, fliegt der Pfeil der Zeit nicht nur in die entgegengesetzte Richtung, sondern er fliegt außerdem schneller. Ein rasantes, wildes Universum, in dem Lebensspannen zu Momenten komprimiert sind. Die Uhr-Zeit, das Geflacker der Planck-Zeit, die die Rate bestimmt, mit der die Kaihs ihre Realität berechnen, läuft einhundertmal schneller als im Universum Null. Atemlos jagt Lisa Durnau ein paar weitere Berechnungen durch die Lade, obwohl sie weiß, obwohl sie schon vorher weiß, wie das Ergebnis aussehen wird. Universum 212255 durchläuft die Spanne von der Geburt bis zum Rekollaps zur finalen Singularität in sieben Komma sieben acht Milliarden Jahren.
    »Es ist ein Boltzmon!«, ruft sie begeistert. Das Mädchen im Blümchenkleid dreht sich um und starrt sie an. Die Schlacke eines Universums, ein finales Schwarzes Loch, das sämtliche Quanteninformationen enthält, die hineingefallen sind, und das sich den Weg aus einer sterbenden Realität in eine andere stanzt. Und wartet – das Erbe der Menschheit.
    »Ihr Geschenk an uns«, sagt Thomas Lull. »Alles, was sie wissen, alles, was sie erfahren haben, alles, was sie gelernt und geschaffen haben, haben sie als ihr Abschiedsgeschenk zu uns herübergeschickt. Das Tabernakel ist ein einfacher Automat, der die Informationen im Boltzmon in eine Form kodiert, die für uns verständlich ist.«
    »Und uns, unsere Gesichter.«
    »Wir waren ihre Götter. Wir waren ihr Brahma und Shiva, Vishnu und Kali. Wir sind ihr Schöpfungsmythos.«
    Das Tageslicht ist nun fast verschwunden, und ein tiefes Indigo hat sich über den Fluss gelegt. Die Luft ist kühl, die Ränder der fernen Wolken leuchten, sie wirken riesig und unwahrscheinlich wie Träume. Die Musiker haben das Tempo gesteigert, die Gläubigen stimmen den Gesang an Mutter Ganga an. Die Brahmanen steigen durch die Menge herab. Vater und Kind sind nicht mehr da.
    Sie haben uns nie vergessen, denkt Lisa Durnau. In all den Milliarden – Trillionen – subjektiven Jahren ihres Lebens und ihrer Geschichte haben sie sich an diesen Verrat am Ufer des Ganges erinnert, und sie haben uns dazu
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