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Cyberabad: Roman (German Edition)

Cyberabad: Roman (German Edition)

Titel: Cyberabad: Roman (German Edition)
Autoren: Ian McDonald
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hatten. Sie sah sein Gesicht, als er bei den Menschen stand, die sich dort tummelten, wo Kij gestorben war, und dachte: Ich kenne diesen Blick aus einem großen Wohnzimmer ohne Möbel in Lawrence. Und sie wusste, was sie tun musste und dass ihre Mission in jedem Fall scheitern würde. Als er schließlich in einer schwachen Geste der Fassungslosigkeit den Kopf schüttelte, war es ausdrucksstärker als jede emotionale Dramatik. Dann setzte er sich ans Wasser, und sie folgte ihm und hockte sich auf den sonnenwarmen Stein und wartete, bis er bereit war.
    Die Musiker haben mit einem sanften, langsamen Herzschlag begonnen. Die Menge wird von Minute zu Minute größer. Die Erwartung, die Präsenz ist deutlich zu spüren.
    »L. Durnau«, sagt Thomas Lull. Widerstrebend muss sie lächeln. »Gib mir das Ding.«
    Sie reicht ihm die Lade. Er blättert durch die Seiten. Sie sieht, wie er die Aufnahmen aus dem Tabernakel abruft: Lisa, Lull, Kij, Nandha der Krishna Cop. Er lässt die Gesichter wieder in der Maschine verschwinden. Ein Mysterium, das niemals aufgeklärt werden soll. Sie weiß, dass er nicht mit ihr zurückkehren wird.
    »Man glaubt, man hat etwas gelernt, man glaubt, dass man es endlich rausgekriegt hat. Es hat Zeit und Leid und Mühe und eine Menge Erfahrung gekostet, aber schließlich glaubt man, dass man eine Vorstellung hat, wie das alles funktioniert, die ganze verdammte Show. Man sollte meinen, ich wüsste es besser, ich möchte wirklich daran glauben, dass wir tatsächlich auf dem richtigen Weg sind, dass alles nicht nur Planetenschleim ist. Und das ist der Grund, warum es mich immer wieder kalt erwischt. Jedes Mal.«
    »Der Fluch des Optimisten, Lull. Ständig kommen einem Menschen in die Quere.«
    »Nein, keine Menschen, L. Durnau. Nein, die Menschen habe ich schon vor langer Zeit abgeschrieben. Nein, ich hatte wieder Hoffnung, als ich begriffen hatte, was die Kaihs beabsichtigten. Ich dachte, Mann, das ist die Ironie schlechthin, dass die Maschinen, die verstehen wollen, wie es ist, Mensch zu sein, letzlich viel menschlicher sind als wir. Ich hatte nie Hoffnung für uns, L. Durnau, aber ich habe gehofft, dass die Gen-Dreier vielleicht einen Sinn für Moral entwickelt haben. Nein, sie haben sie im Stich gelassen. Sobald sie erkannten, dass es nie Frieden zwischen Fleisch und Metall geben würde, haben sie sie aufgegeben. Lerne, wie es ist, ein Mensch zu sein. Sie haben alles gelernt, was sie wissen mussten, bei einem einzigen großen Verrat.«
    »Sie haben sich in Sicherheit gebracht. Sie haben ihre Spezies gerettet.«
    »Hast du auch nur ein Wort von dem verstanden, was ich gesagt habe, L. Durnau?«
    Ein Kind kommt die Ghats herunter, ein kleines Mädchen im Blümchenkleid, barfüßig, unsicher auf den Treppenstufen. Ihr Gesicht zeigt absolute Konzentration. Ihr Vater hält eine Hand, die andere wedelt, um das Gleichgewicht zu wahren, und umklammert eine Girlande aus Tagetes. Der Vater führt sie zum Fluss, zeigt ihr, wohin sie werfen soll, na los, hinein damit. Das Mädchen schleudert die Gajra von sich, reißt begeistert die Arme hoch, als sie sieht, wie sie auf dem dunklen Wasser landet. Sie ist bestimmt nicht älter als zwei.
    Nein, du irrst dich, Lull, möchte Lisa sagen. Es sind diese hartnäckigen kleinen Lichter, die sie niemals auslöschen können. Es sind diese Quanten der Freude und des Erstaunens und der Überraschung, die unablässig aus den universellen und konstanten Wahrheiten unserer Menschlichkeit hervorquellen. Als sie schließlich spricht, sind es die Worte: »Was glaubst du, wohin du jetzt gehen wirst?«
    »Es gibt da immer noch diese Tauchschule mit meinem Namen dran, irgendwo in Richtung Lanka oder Thailand«, sagt Thomas Lull. »Es gibt da eine Nacht im Jahr, kurz nach dem ersten Vollmond im November, wenn die Korallen ihre Spermien und Eier entlassen, alle gleichzeitig. Es ist einfach wunderbar, als würde man in einem gigantischen Orgasmus schwimmen. Das würde ich gern sehen. Oder Nepal, die Berge. Ich würde gern die Berge sehen, wirklich sehen, mich für längere Zeit zwischen ihnen aufhalten. Etwas Berg-Buddhismus machen, all die Dämonen und Schrecken, das ist genau die Art von Religion, die mich anspricht. Nach Kathmandu hochfahren, raus nach Pokhara, irgendwo hoch oben, mit Blick auf den Himalaya. Würdest du deswegen Ärger mit den Agenten kriegen?«
    Vater und Tochter stehen am Wasser und beobachten, wie die Gajra auf den Wellen schaukelt.
    »Wie unser guter Mr. Rhodes
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