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Couchgeflüster

Couchgeflüster

Titel: Couchgeflüster
Autoren: Mira Becker
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sie ihre Brille auf die Nase, die sie in der Schublade gefunden haben muss.
    Die Abendsonne spiegelt sich im gegenüberliegenden Fenster, wirft rötliches Licht in den Raum und sorgt für eine friedliche Atmosphäre.
    Trügerisch, denke ich, denn die gesamte Szenerie wirkt, als sei nie etwas geschehen. Als sei meine Mutter nie ausgeflippt. Nie in der Klinik gewesen. Und als hätte ich nie Therapeutin gespielt.
    Doch der aufgeschlagene Terminkalender, der vor ihr liegt, macht mir nicht gerade Mut. Hat sie die ausradierten Termineschon bemerkt? Ahnt sie etwas? Oder hat Tessa vielleicht gepetzt? Zugegeben, die Story von Ben als Blumenboten war ziemlich dünn, denke ich und wappne mich für die wahrscheinlich unangenehmste Moralpredigt meines Lebens.
    «Dann schieß mal los, Mama», sage ich schicksalsergeben und lasse mich auf den Stuhl vor ihrem Schreibtisch fallen.
    Überrascht hebt sie den Kopf. Aufmüpfiges Benehmen hat sie wohl nicht erwartet. Aber ich bin kein verängstigtes Kind mehr, das sich von ihr zurechtweisen lassen muss. Egal, was kommt. Ich werde es durchstehen. Sogar ohne Kopfstand.
    Mama richtet sich auf und sieht mich streng an. «Ist dieser Ben Reuther identisch mit dem Reuther in meinem Kalender?»
    Typisch, ohne lange Vorrede kommt sie direkt zum Thema. Na gut, kurz angebunden sein kann ich auch.
    «Ja.»
    Geduldig, als wäre ich ein Patient, blickt sie mich an. «Und weiter?»
    «Nichts weiter», antworte ich schulterzuckend.
    Zwischen ihren Brauen entsteht eine steile Falte, als sie jetzt die Augen zusammenkneift. «Du bist also mit einem meiner Patienten liiert? Mit einem Mann, der sich wegen einer retrograden Amnesie von mir behandeln lassen wollte?» Sie tippt mit einem Kugelschreiber mehrmals auf den Kalender, und ihre Stimme klingt plötzlich viel weniger geduldig.
    Jetzt spüre ich wieder so ein unangenehmes Bauchgrummeln. Ihre Worte klingen ja gerade so, als wäre ich einer Straftat schuldig! Aber ich reiße mich zusammen, atme tief durch und nicke gleichmütig.
    «Und das nennst du:
Nichts weiter
? Du willst mich wohl für dumm verkaufen!», poltert sie erbost los. «Ich verlange, dass du mir sofort erklärst, was hier gespielt wird. Und versuche ja nicht, dich rauszureden, Antonella Nitsche.» Ihr drohender Zeigefinger kommt mir plötzlich wie ein Lineal vor. «Tessa hat mir nämlich berichtet, dass sie dich mit Herrn Reuther auf der Couch   … nun, dass sie euch dort überrascht hat.»
    «…   angetroffen hat», korrigiere ich selbstbewusst und muss ein Grinsen unterdrücken, als ich mir die Szene vor meinem geistigen Auge in Erinnerung rufe. «Es gab absolut nichts, wobei sie uns hätte
überraschen
können.»
    «Gab es nicht?»
    «Nein, Mama, es war völlig harmlos», versichere ich, was zumindest an jenem Tag ja auch der Fall war. «Tessa hat die Situation wohl falsch interpretiert, weil ich   … Na ja, weil ich deine Kleider anhatte.»
    «Meine Kleider?»
    Ist es zu fassen? Sie wiederholt tatsächlich die Worte, um mich dadurch zum Reden zu animieren. Aber mittlerweile kenne ich alle Tricks der Therapeutin. Schließlich habe ich mich in der Rolle selbst gut geschlagen.
    «Ich wollte einfach mal wissen, wie es sich anfühlen könnte   … ähm   … deine Nachfolgerin zu sein», gestehe ich die halbe Wahrheit.
    Mama schweigt überraschend. Eine Antwort oder Frage bleibt aus. Entweder ist sie total überwältigt von meinem plötzlichen Interesse, oder sie glaubt mir nicht. Ihrer professionell-neutralen Miene ist leider nicht die geringste Emotion zu entnehmen.
    «Ich meine,
du
predigst doch immer, dass ich mich fürdiesen Beruf interessieren sollte», lege ich noch eins drauf. «Na ja   … und du kennst doch die Redensart, dass Kleider Leute machen, und da wollte ich   –»
    «Aha!» Ein Ruck geht durch ihren Körper. «Und da wolltest du Herrn Reuther mal als Versuchskaninchen benutzen.»
    «Natürlich nicht», wehre ich entrüstet ab. «Es war   …» Ich erinnere mich, wie verblüfft ich war, Ben an jenem Tag an der Tür zu sehen. Und plötzlich weiß ich, was ich Mama erzählen kann, ohne sie anlügen zu müssen. «Ben und ich kannten uns bereits, bevor er sich bei dir angemeldet hat. Ich hatte dir nur noch nichts von unserer   … ähm, von unserer Beziehung erzählt. Weil wir   … na ja, weil wir noch nicht so lange zusammen sind.» Das ist nicht nur wahr, sondern auch eine absolut plausible Erklärung. Ich blicke Mama mit stolzgeschwellter Brust an.
    Sie stutzt,
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