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Coraline

Coraline

Titel: Coraline
Autoren: Neil Gaiman
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Jahrhunderten nicht mehr bekommen«, sagte das Mädchen rechts von Coraline. Sie war ein sehr blasses Kind und war in etwas gehüllt, was wie Spinnweben aussah. Dazu trug sie einen glitzernden Silberreif in ihren blonden Haaren. Coraline hätte schwören können, dass dem Mädchen Flügel aus dem Rücken wuchsen – nicht die Flügel eines Vogels, sondern silbrige Schmetterlingsflügel. Auf dem Teller des Mädchens häuften sich hübsche Blumen. Sie lächelte Coraline zu, als hätte sie schon so lange nicht mehr gelächelt, dass sie fast – aber nicht ganz – vergessen hatte, wie das geht. Coraline stellte fest, dass sie dieses Mädchen auf Anhieb sehr mochte.
    Und dann, wie das bei Träumen so ist, war das Picknick vorüber und sie spielten auf der Wiese, liefen umher und riefen sich zu und warfen einen glitzernden Ball von einem zum anderen. Da wusste Coraline, dass es ein Traum war, denn niemand wurde müde oder erschöpft oder atemlos. Sie schwitzte noch nicht mal. Alle lachten nur und rannten in einem Spiel hin und her, das teils Fangen war, teils Räuber und Gendarm und teils einfach nur ein herrliches Toben.
    Drei von ihnen liefen auf dem Boden, während das blasse Mädchen ein Stückchen über ihren Köpfen schwebte und mit ihren Schmetterlingsflügeln herabge schossen kam, um den Ball zu schnappen und sich wieder in den Himmel zu erheben, bevor sie den Ball jemand anderem zuwarf.
    Und dann, ohne dass ein Wort darüber gefallen wäre, war das Spiel zu Ende und sie kehrten wieder zum Picknickplatz zurück. Das Geschirr vom Mittagessen war von ihrem Tuch abgeräumt und vier Schüsselchen warteten auf sie, drei mit Eiskrem und eins, in dem sich Geißblattblüten häuften.
    Sie aßen mit Genuss.
    »Danke, dass ihr zu meiner Party gekommen seid«, sagte Coraline. »Falls es wirklich meine Party war.«
    »Die Freude ist ganz auf unserer Seite, Coraline Jones«, sagte das Mädchen mit den Flügeln, während sie an einer Geißblattblüte knabberte. »Wenn es doch nur etwas gäbe, was wir für dich tun könnten, um dir zu danken und dich zu belohnen.«
    »Ja«, sagte der Junge mit der roten Samthose und dem schmutzigen Gesicht. Er streckte die Hand aus und nahm Coralines Hand in seine. Sie war ganz warm.
    »Du hast etwas sehr Gutes für uns getan, Miss«, sagte das große Mädchen. Jetzt waren ihre Lippen rundum mit Schokoladeneis verschmiert.
    »Ich bin einfach nur froh, dass es vorbei ist«, sagte Coraline.
    Bildete sie sich das nur ein oder glitt ein Schatten über die Gesichter der anderen Kinder bei dem Picknick?
    Das Mädchen mit den Flügeln legte ihre Finger einen Augenblick lang auf Coralines Handrücken. Der Silber-reif in ihrem Haar funkelte wie ein Stern.
    »Für uns ist es vorbei und erledigt«, sagte sie. »Das ist unsere Zwischenstation. Von hier werden wir drei in unbekannte Gefilde aufbrechen, die auf keiner Landkarte verzeichnet sind. Und was danach kommt, davon weiß kein Lebender zu berichten . . .« Sie brach ab.
    »Es gibt noch ein Aber , stimmt’s?«, sagte Coraline. »Das kann ich spüren. Wie eine Regenwolke.«
    Der Junge links von ihr versuchte, ein tapferes Lächeln aufzusetzen, aber seine Unterlippe fing an zu zittern und er biss darauf und schwieg. Das Mädchen mit der braunen Haube rückte unbehaglich hin und her und sagte: »Ja, Miss.«
    »Aber ich habe euch drei zurückgeholt«, sagte Coraline. »Ich habe Mum und Dad wieder. Ich habe die Tür zugeschlagen. Ich habe sie abgesperrt. Was soll ich denn noch mehr tun?«
    Der Junge drückte Coralines Hand in seiner. Coraline musste daran denken, wie sie es gewesen war, die ihn mit dieser Geste zu beruhigen versuchte, als er kaum mehr als eine kalte Erinnerung in der Dunkelheit war.
    »Also, könnt ihr mir nicht einen Hinweis geben?«, fragte sie. »Gibt es denn gar nichts, was ihr mir sagen könnt?«
    »Die alte Vettel hat bei ihrer rechten Hand geschworen«, sagte das große Mädchen. »Aber sie hat gelogen.«
    »M-meine Gouvernante«, sagte der Junge, »hat immer gesagt, dass niemand mehr aufgebürdet bekommt, als er oder sie tragen kann.« Während er sprach, zuckte er mit den Schultern, als wäre er noch zu keinem Urteil darüber gekommen, ob das stimmte oder nicht.
    »Wir wünschen dir alles Gute«, sagte das Mädchen mit den Flügeln. »Viel Glück und Weisheit und Mut – wobei du allerdings schon bewiesen hast, dass du über alle drei dieser Gaben verfügst, und zwar in reichlichem Maße.«
    »Sie hasst dich«, platzte der Junge
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