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Coraline

Coraline

Titel: Coraline
Autoren: Neil Gaiman
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Erkundung von Garten und Gelände.
    Ihre Mutter verlangte, dass sie zum Abendessen und auch zum Mittagessen ins Haus kam. Und Coraline musste sich warm einpacken, bevor sie hinausging. Der Sommer war in diesem Jahr nämlich sehr kalt. Aber sie ging hinaus und machte jeden Tag ihre Erkundungsgänge, bis es eines Tages regnete und sie im Haus bleiben musste.
    »Was soll ich nur machen?«, fragte Coraline.
    »Lies doch ein Buch«, sagte ihre Mutter. »Schau dir ein Video an. Spiel mit deinen Spielsachen. Geh zu Miss Spink oder Miss Forcible und fall ihnen auf die Nerven. Oder dem verrückten alten Herrn von oben.«
    »Nein«, sagte Coraline. »Dazu hab ich keine Lust. Ich will auf Entdeckungsreise gehen.«
    »Mir ist es eigentlich ganz egal, was du machst«, sagte Coralines Mutter, »solange du kein Durcheinander anrichtest.«
    Coraline trat ans Fenster und sah zu, wie der Regen herunterprasselte. Das war nicht so ein Regen, bei dem man ins Freie gehen konnte – es war die andere Art Regen, so ein Regen, der sich vom Himmel herabstürzte und mit lautem Platschen aufspritzte, wenn er auf dem Boden landete. Es war ein Regen, der seine Aufgabe ernst nahm, und zur Zeit bestand seine Aufgabe darin, den Garten in eine nasse, matschige Suppe zu verwandeln.
    Inzwischen hatte Coraline sämtliche Videos angeguckt. Ihre Spielsachen waren langweilig und ihre Bücher hatte sie alle schon ausgelesen.
    Sie machte den Fernseher an und schaltete von einem Programm zum anderen, aber auf allen Sendern kamen nur Talkshows oder Männer in Anzügen, die über die Börsenkurse redeten. Schließlich fand sie dann doch etwas Sehenswertes: die letzte Hälfte einer Natursendung über etwas, das Tarnfarbe hieß. Coraline sah alle möglichen Tiere, Vögel und Insekten, die sich als Blätter, Zweige oder andere Tiere tarnten, um denen zu entkommen, die ihnen Schaden zufügen konnten. Das gefiel ihr, aber die Sendung war nur allzu bald vorbei und danach kam etwas über eine Kuchenfabrik.
    Es wurde Zeit, dass sie mit ihrem Vater sprach.
    Coralines Vater war zu Hause. Ihre Eltern waren beide berufstätig. Sie machten irgendwas am Computer, was bedeutete, dass sie viel zu Hause waren. Beide hatten ein eigenes Arbeitszimmer.
    Ohne sich umzudrehen, sagte er: »Hallo, Coraline«, als sie hereinkam.
    »Hmpf«, sagte Coraline. »Es regnet.«
    »Ja«, sagte ihr Vater. »Es gießt in Strömen.«
    »Nein«, sagte Coraline. »Es regnet einfach nur. Kann ich nach draußen?«
    »Was sagt deine Mutter dazu?«
    »Sie sagt: Bei so einem Wetter gehst du mir nicht vor die Tür, Coraline Jones.«
    »Dann nicht.«
    »Aber ich möchte mit meinen Erkundungsgängen weitermachen.«
    »Dann erkunde doch die Wohnung«, schlug ihr Vater vor. »Schau her – hier sind ein Blatt Papier und ein Stift. Zähl sämtliche Türen und Fenster. Leg eine Liste von allem an, was blau ist. Unternimm eine Expedition, um den Heißwassertank zu entdecken. Und lass mich in Ruhe arbeiten.«
    »Darf ich in die gute Stube?«
    Die gute Stube war das Zimmer, in dem die Familie Jones die teuren (und unbequemen) Möbel verwahrte, die ihnen Coralines Großmutter vermacht hatte, als sie starb. Coraline durfte dort nicht hinein. Niemand betrat die gute Stube. Sie war nur für besondere Anlässe da.
    »Wenn du kein Durcheinander machst. Und nichts anfasst.«
    Coraline dachte gründlich darüber nach, dann nahm sie Papier und Stift und machte sich daran, die Wohnung zu erkunden.
    Sie entdeckte den Heißwassertank (er war in einem Schrank in der Küche).
    Sie zählte alles, was blau war (153).
    Sie zählte die Fenster (21).
    Sie zählte die Türen (14).
    Von den Türen, die sie fand, gingen dreizehn auf und zu. Die andere – eine große, mit Schnitzereien verzierte braune Holztür in der hintersten Ecke der guten Stube – war abgeschlossen.
    Sie fragte ihre Mutter: »Wohin führt diese Tür?«
    »Nirgendwohin, mein Schatz.«
    »Sie muss doch irgendwohin führen.«
    Ihre Mutter schüttelte den Kopf. »Schau her«, sagte sie zu Coraline.
    Sie langte hoch und holte oben vom Rahmen der Küchentür einen Schlüsselbund. Sorgfältig ging sie die Schlüssel durch und wählte den ältesten, größten, schwärzesten und rostigsten aus. Sie gingen in die gute Stube. Dort schloss sie mit dem Schlüssel die Tür auf.
    Jetzt ließ sich die Tür öffnen.
    Ihre Mutter hatte recht. Die Tür führte nirgends hin. Dahinter war eine Wand aus Backsteinen.
    »Als das Haus noch von einer einzigen Familie bewohnt wurde«,
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