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Coraline

Coraline

Titel: Coraline
Autoren: Neil Gaiman
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Schwanzspitze zu einem Fragezeichen gebogen, auf sie zukam. In den letzten Tagen, seit sie zusammen aus der Wohnung der anderen Mutter zurückgekehrt waren, hatte sie ihn nicht mehr gesehen.
    Der Kater spazierte zu ihr hin und sprang dann auf die Bretter, mit denen der Brunnen zugedeckt war. Dann kniff er langsam ein Auge zu und zwinkerte zu ihr hinüber.
    Er sprang in das hohe Gras vor ihr, drehte sich auf den Rücken und begann voller Begeisterung zu zappeln.
    Coraline kraulte ihm das weiche Fell auf dem Bauch und der Kater schnurrte zufrieden. Als er genug hatte, wälzte er sich wieder herum und lief in Richtung Tennisplatz davon, ein kleines Fleckchen Mitternacht in der Mittagssonne.
    Coraline ging wieder ins Haus.
    Auf der Auffahrt wartete Mr Bobo auf sie. Er klopfte ihr auf die Schulter.
    »Die Mäuse haben mir gesagt, dass alles wieder gut ist«, sagte er. »Sie sagen, du bist unsere Retterin, Caroline.«
    »Ich heiße Coraline, Mr Bobo«, sagte Coraline. »Nicht Caroline. Coraline.«
    »Coraline«, sagte Mr Bobo, wiederholte ihren Namen voller Staunen und Respekt. »Sehr schön, Coraline. Die Mäuse haben gesagt, ich soll dir ausrichten, dass du sie als allererste Zuschauerin zu sehen bekommst, wenn sie so weit sind, in der Öffentlichkeit aufzutreten. Dann sollst du heraufkommen und sie werden humba-wumba spielen und didel-düdel und sie werden tanzen und tausend Kunststücke vorführen. Das haben sie jedenfalls gesagt.«
    »Ich komme sehr gern«, sagte Coraline. »Wenn sie so weit sind.«
    Sie klopfte bei Miss Spink und Miss Forcible an die Tür. Miss Spink ließ sie herein und Coraline ging in den Salon. Dort stellte sie die Schachtel mit den Puppen auf dem Boden ab. Dann griff sie in die Tasche und holte den Stein mit dem Loch in der Mitte hervor.
    »Hier haben Sie Ihren Stein zurück«, sagte sie. »Ich brauche ihn nicht mehr. Ich bin Ihnen sehr dankbar dafür. Ich glaube, er hat mir das Leben gerettet, und einigen anderen hat er den Tod gerettet.«
    Sie drückte sie beide ganz fest, obwohl ihre Arme kaum um Miss Spink herumreichten und Miss Forcible nach dem Knoblauch roch, den sie gerade gehackt hatte. Dann hob Coraline die Schachtel wieder auf und ging hinaus.
    »Was für ein ungewöhnliches Kind«, sagte Miss Spink. Seit sie sich von der Bühne zurückgezogen hatte, war sie von niemandem mehr so umarmt worden.
    Am Abend lag Coraline im Bett, frisch gebadet und mit geputzten Zähnen. Sie hatte die Augen offen und starrte zur Decke empor.
    Es war so warm, dass sie jetzt, nachdem die Hand weg war, das Fenster weit geöffnet hatte. Ihrem Vater gegenüber hatte sie darauf bestanden, dass der Vorhang nicht ganz zugezogen wurde.
    Ihre neue Schulkleidung war sorgfältig über ihren Stuhl gebreitet, damit sie gleich bereitlag, wenn sie aufwachte.
    Normalerweise war Coraline in der Nacht vor einem neuen Schuljahr nervös und ängstlich. Aber jetzt konnte die Schule sie nicht mehr schrecken.
    Sie bildete sich ein, in der Nachtluft liebliche Musik zu hören – so eine Musik, die nur mit den allerkleinsten Silberposaunen und -trompeten und -fagotten entsteht, mit so zarten kleinen Piccoloflöten und Tuben, dass nur die winzigen rosa Fingerchen von weißen Mäusen darauf spielen können.
    Coraline stellte sich vor, dass sie wieder mit den beiden Mädchen und dem Jungen in ihrem Traum unter der Eiche auf der Wiese war, und sie lächelte.
    Als die ersten Sterne am Himmel erschienen, ließ Coraline sich schließlich in den Schlaf hinübergleiten, während sich von oben die sanfte Musik des Mäusezirkus in die warme Abendluft ergoss und aller Welt verkündete, dass der Sommer fast vorüber war.
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