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Copyworld: Roman (German Edition)

Copyworld: Roman (German Edition)

Titel: Copyworld: Roman (German Edition)
Autoren: Michael Szameit
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wählen müßten. Vehement
verurteilte er die “Große Digitalisierungslüge” und pries den   Omegaschlaf, der allen Bürgern jederzeit
gestattete, ihr eigenes Schicksal zu bestimmen. Das Volk der DTEA schlug alle
Warnungen der Antisteinisten in den Wind und strömte in die neuerrichteten Omegahallen.
Nur Beryll selbst verzichtete öffentlich in märtyrerhafter Pose für alle
Zukunft auf die Segnungen Copyworlds - um seinen Platz einem einfachen Bürger
abzutreten, wie er beteuerte.
    In den Ipops bezahlte man nun
nicht mehr mit Korund, sondern mit der neuen Währung Freimark, was überall als
gigantischer Fortschritt gepriesen wurde. Und als irgendjemand zaghaft die
Frage stellte, was denn nun mit den immensen Reichtümern der Gesellschaft
geschehen würde, die nun plötzlich herrenlos auf der Straße lagen, da brach
Hektik aus unter den Freiheitsligisten. Noch ehe es jemand richtig begriffen
hatte, waren neue Gesetze verabschiedet, um die Rechtsnachfolge zu regeln. Und,
oh Wunder, völlig überraschend fielen die Eigentümer des Volkes der DTEA den
beryllischen Freiheitsligisten zu...
    Am schlimmsten war für Hyazinth
jedoch Jades Verhalten.
    “Mistvieh, verdammtes! Hör auf zu
ziehen!” flucht Hyazinth und reißt heftig an dem Platinkettchen. Federchen
quietscht schrill auf vor Schreck, dann schweigt sie, und nur zwischen ihren
Lippen blitzt hin und wieder ein armseliges Fünkchen auf.
    Jade hatte sich schon Beryll
getrennt. Selbst Satan war es also nicht gelungen, die Hexe zu bändigen. Kaum
aber deutete sich an, daß Berylls Stern dem Zenit entgegenstieg, war sie wieder
an seiner Seite. Es heißt, einige der beryllischen Fundamentalthesen seien in
Wahrheit ihr zu verdanken, aber Hyazinth mag daran nicht glauben. Jade war nie
ein geistig kreativer Mensch, sie beherrschte lediglich die Kunst, Wort und
Gedanken anderer auf gelegentlich originelle Weise zu variieren. Die Idee, den
Namen Stein abzulegen, könnte allerdings von ihr sein. Auf so etwas kommen nur
Frauen. Nun heißt sie also Jade Lithos. All die seltsamen Leute, mit denen sich
Beryll umgibt, haben diesen neuen Namen angenommen. Auch die Art und Weise, wie
Hyazinth mundtot gemacht wurde, trägt Jades Handschrift. Beryll hatte ihn zu
sich gebeten – damals bat er noch, heute befiehlt er nur – und ihm erklärt, er
sei um Hyazinths Sicherheit besorgt.
    “Für viele Menschen der DTEA bist
du ein Held, lieber Hyazinth. Aber es gibt nicht wenige, die das Volk gegen
dich aufzuwiegeln versuchen. Sie behaupten, einzig Machtgier hätte dich
veranlaßt, den Ersten Exarchen zu töten, weil du sein Nachfolger sein
wolltest…”
    “Aber du weißt, daß es so nicht
ist!” Hyazinth war empört aufgesprungen.
    “Jaja, ich weiß das. Aber das
Volk glaubt das, was man ihm sagt. Wenn sie erführen, daß du der leibliche Sohn
Korunds bist, also sein wirklicher Erbe, wie man das einmal nannte – ich
fürchte, sie würden dich in tausend Stücke reißen. Es ist wohl besser, wenn du
ein Weilchen untertauchst.” Berylls Stimme klang aufrichtig besorgt, und
Hyazinth fiel darauf herein.
    “Sie selbst haben mich doch aber
mit großer Mehrheit als Nachfolger meines… meines Vaters vorgeschlagen!” wagte
er einen letzten Einwand.
    “Weil sie in dir ausschließlich
seinen Richter sehen.”
    “Seinen Henker!” korrigierte
Hyazinth bitter.
    “Nur wenige kennen dein Geheimnis
–”
    “Das Gefühl habe ich aber ganz
und gar nicht”, unterbrach er Beryll heftig. “Fast scheint es mir, als hätten es
alle die ganze Zeit gewußt – außer mir!”
    “Nur wenige, glaube mir. Und
diese wenigen habe ich völlig unter Kontrolle. Niemand wird etwas erfahren,
wenn du mir vertraust. Sie würden dich auf dem Scheiterhaufen verbrennen,
glaube mir. Diese Menschen unterscheiden sich in keiner Weise von denen, die
ihren eigenen Gott an ein Holzkreuz genagelt haben, einen Gott, der sich ihnen
selbst zum Fraße vorwarf, um ihre Gier zu stillen, dessen Leib sie verschlangen
und dessen Blut sie soffen in einer seltsamen Zeremonie, als ihr Gott längst
tot war und wieder auferstanden, sich ihnen unentwegt opferte.
    Sie fraßen und soffen ihn so, wie
die Geier sich an der Leber des Prometheus labten. Das sind sie: Unersättlich.
Am besten aufgehoben ist die Bestie Mensch in einem Käfig…”
    “Res Cogitans?” fragte Hyazinth
verblüfft, der von all den dunklen Gedanken nur den letzten Satz richtig
verstanden hatte. Beryll schwieg einen Moment und musterte Hyazinth
durchdringend.
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