Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Coolman und ich (German Edition)

Coolman und ich (German Edition)

Titel: Coolman und ich (German Edition)
Autoren: Rüdiger Bertram
Vom Netzwerk:
scheint sie überhaupt nicht zu interessieren, was da los war, und ich habe nicht die geringste Lust, es ihr zu erzählen.
    Ein Gong ertönt dreimal hintereinander, und das ist das Zeichen, dass es gleich losgeht. Eigentlich müsste ich noch aufs Klo, aber dafür ist jetzt keine Zeit mehr. Auch die anderen Besucher gehen zu ihren Plätzen.
    Unsere sind gleich in der zweiten Reihe, genau in der Mitte. Sie sind für Anti und mich reserviert, und es gibt sogar einen Zettel mit unseren Namen, der auf der Rückenlehne klebt.

    Kaum haben wir uns gesetzt, geht das Licht aus und der Vorhang auf.
    Kennt ihr »Romeo und Julia«?
    In dem Stück verlieben sich Romeo und Julia ineinander. Sie dürfen aber nicht miteinander gehen, weil ihre Familien total verfeindet sind. Am Ende sind beide tot.
    Ein richtiges Gute-Laune-Stück.
    Immerhin hat sich der Regisseur ein paar durchgeknallte Sachen ausgedacht, damit auf der Bühne ein bisschen die Post abgeht. Julia ist in dem Stück eigentlich ein Teenager, und dass ausgerechnet meine Mutter sie spielt, ist auch so eine seiner Ideen. Meine Mutter könnte Julias Oma sein!
    Der Regisseur hat eine Menge solcher Ideen. Eigentlich leben »Romeo und Julia« irgendwo in Italien. Bei ihm spielt das Stück in einem Raumschiff, das auf dem Weg zum Mars ist. Keine Ahnung, warum, aber die Bühne ist in grünes Flackerlicht getaucht und links am Rand plätschert die ganze Zeit ein Zimmerspringbrunnen.
    Das erinnert mich daran, dass ich dringend pinkeln muss. Ich hätte die Cola nicht trinken sollen, die Anti mir mitgebracht hat. Jetzt ist es zu spät. Ich überlege, ob ich mich durch die Reihen drängeln soll, um aufs Klo zu kommen. Aber ein paar Plätze links von mir sitzt der Bürgermeister in seinem rot-weißen Anzug und schaut immer wieder böse zu mir herüber. Da kann ich unmöglich vorbei, auch wenn der Druck auf meine Blase immer unerträglicher wird.

    Es muss einen anderen Weg geben, auch wenn ich keinen blassen Schimmer habe, wie der aussehen sollte. Wenn nur dieser blöde Springbrunnen endlich aufhören würde zu plätschern, ginge es mir schon besser. Vielleicht könnte ich mich auf den Boden fallen lassen und zwischen den Beinen unbemerkt zum Ausgang kriechen. Oder ich könnte …
    Kennt ihr das? Ihr müsst so dringend aufs Klo wie noch nie in eurem Leben, doch ganz plötzlich ist der ganze Druck auf eurer Blase einfach weg. Nicht, weil ihr euch in die Hose gemacht habt, sondern weil etwas anderes, schrecklich Entsetzliches passiert ist.
    Genau so geht es mir. Meine Eltern stehen nebeneinander auf der Bühne in diesen lächerlichen Astronautenanzügen, in die der Regisseur sie gesteckt hat, und beginnen sich auszuziehen. Ich meine jetzt nicht, nur den Helm oder die Stiefel. Ich meine, ganz. Völlig ganz. Bis sie nackt sind. Von allen durchgeknallten Ideen des Regisseurs ist das mit Abstand die durchgeknallteste.
    Ich halte mir die Hände vor die Augen. Leider bin ich der Einzige im ganzen Theater.

    Als ich zwischen meinen Fingern hindurchlinse, sehe ich, dass sogar Anti ihre Haare aus dem Gesicht gestrichen hat, um besser sehen zu können. Alle außer mir starren meine nackten Eltern an. Es ist der peinlichste, peinlichste, peinlichste Moment meines bisherigen Lebens und das Erstaunliche dabei ist:
Coolman
ist daran völlig unschuldig. Das haben meine Eltern ganz allein ohne seine Hilfe geschafft.
    Für die nächsten zwei Stunden fehlt mir jede Erinnerung. Das Einzige, an das ich mich erinnern kann, ist: Meine Eltern tragen irgendwann wieder ihren Raumanzug.
    Meine Schwester applaudiert wie wild und schreit laut Bravo, als das Stück zu Ende ist. Dazu schleudert sie die Tulpen oder Rosen auf die Bühne. Nicht, weil es ihr so gut gefallen hat, sondern weil sie ihren Teil dazu beitragen will, dass die Aufführung ein Erfolg wird. Nur dann wollen meine Eltern am Wochenende verreisen. Mit ihrer geheuchelten Begeisterung reißt Anti das ganze Theater mit. Die Leute sind völlig aus dem Häuschen. Sie brüllen, schreien und toben. Immer wieder müssen meine Eltern auf die Bühne, um sich zu verbeugen.
    Das hat zwei grauenvolle Folgen für mich:
    1. Antis Party steht nichts mehr im Weg.
    2. Das Stück wird nicht sofort abgesetzt, sondern noch häufiger gespielt.
    Und ich kann mich nicht entscheiden, welche dieser beiden grauenvollen Folgen dieses grauenvollen Abends die grauenvollste ist.

4. Kapitel
    School, sweet school
    Als ich am nächsten Morgen aufwache, schlafen meine Eltern noch.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher