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Conviva Ludibundus

Conviva Ludibundus

Titel: Conviva Ludibundus
Autoren: Johanna und Günter Braun
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wachsen zu, wir liegen hier und schlafen, und das Grüne wächst. Wir kommen hier nie wieder raus. Wir müssen eine Delegation bilden und zu Mittelzwerck gehen.
      Ich schlafe nicht, mein Kind, sagte ich. Aber hatte ich nicht die ganze Zeit geschlafen von dem Augenblick an, als die Mittelzwercke sich der Grünen Medaillons bemächtigten? Jetzt geht es an meine Muschel, hatte ich gedacht und vielleicht auch gesagt. Jetzt mußt du aufpassen, Philemon, aber bei Kutz, hinter der Folie, wo ich in meinen alten Meeresgarten tauchte und als junger Mann durch die mattgrünen Reihen strich, muß mir der Augenblick entgangen sein, in dem es aufzupassen galt. Was nützte jetzt eine Delegation, die bei Mittelzwerck protestierte? Die Muschel war hin, zu einem Nichts aufgebläht, sie würde zerplatzen wie eine Blase, sie würde massenhaft vertilgt werden, hochgepriesen, angebetet. Sie war nun ein Phantom. Es gab sie nicht.
      Und sicher gab es auch nicht mehr meinen conviva ludibundus.
      Nahe schien mir zu liegen, daß es demnächst auch keinen Mittelzwerck mehr geben würde. Und keinen Chang und keine Chang-Besatzung und keinen Nickelsen und keine kleine Kutz. Natürlich auch keinen alten Philemon.
      Ich hatte die Entwicklung auf dem Chang mit angesehen, sie laufen lassen, weil ich gemeint hatte, daß es noch schlimmer kommen müsse, damit es besser wird. Aber es ist nicht einfach, abzuschätzen, wie schlimm es kommen muß, wo sich der Schlimmst-Punkt befindet, wieviel Grad slim die Kurve erreichen darf, und auch die Frage, ob es beim Umschlag einer schlimmen Quantität in eine neue Qualität sich stets um eine bessere Qualität zu handeln habe, ob nicht das Schlimme schlimmer werden würde und ob da überhaupt ein Umschlag stattfände, ob sich nicht einfach die Quantität des Schlimmen hemmungslos vermehrte, auch diese Frage war nicht ohne weiteres zu beantworten, und wie die Praxis mir nun zeigte, erhob sich noch eine weitere Frage: An welchem Punkt der slim-Entwicklung muß eingegriffen werden? Wann ist mit einem Besserwerden trotz schlimmster Schlimmheit nicht mehr zu rechnen? Man mag mir vorwerfen, ich hätte Mittelzwerck (echt greisenboshaft) weitermachen lassen, hätte aus seinen Idiotien privaten Lustgewinn gezogen, aber wenn solche Nebenprodukte auch entstanden sind – wozu es leugnen? –, so habe ich dennoch versucht, mit Mittelzwerck zu reden, aber es war zu spät, der slim-Punkt, der entscheidende, war überschritten. Jetzt zu erforschen, wo er gelegen hatte, ob schon zu Anfang unserer Reise, ob schon am Meeresgarten, erschien mir witzlos. Mittelzwerck hatte mich niemals mit sich reden lassen. Das einzige, was ich hätte tun können, wäre vielleicht ein offner Brief an die Gesellschaft, ein Weltprotest gewesen. Aber was hätte es genützt? Hätte jemand darauf gehört? Wäre mein Protestieren nicht nur ein Alibi gewesen, ein Aktenfüller, damit es hundert Jahre später hätte heißen können: Als einziger hat der greise Philemon gewarnt, es wurde aber nicht auf ihn gehört. Ja, darauf, daß auf sie nicht gehört wurde, sind manche Leute hinterher noch stolz, es gibt ihnen das Odium des verkannten Weisen und stellt die anderen als verstockte Besserwisser hin. Aber was nützt die Warnung, die nicht ernst genommen wird? Dient sie der Sache? Der lieben Menschheit und so weiter? Der Alte hat gewarnt. Sehr brav. Was hat er sonst getan? Hätte er nicht den Chang verlassen sollen? Demonstrativ, mit Kutzenbacher? Wenn Philemon und dann auch noch die Kutzenbacher, womöglich einen neuen Schlager singend, von Bord gegangen wären, hätte das ein Alarmsignal sein können, das nicht so leicht zu überhören gewesen wäre. Philemon geht von Bord. Hatte er nicht schon vor der Reise im Fernsehen gewarnt? Nun geht er. Und die berühmte Friederike Kutzenbacher, um derentwillen sich die Leute für die Expedition vor allem interessierten, die Zugnummer, geht auch. Da muß, trotz der Erfolgsberichte des Mittelzwerck, was faul sein. Philemon, der Nestor, der Weise, geht. Ein Menetekel. Und Kutzenbacher folgt ihm. Es stinkt an Bord des Chang. Dies wäre vielleicht eine Möglichkeit gewesen, aber ich hätte mich dann vom Ort der Handlung trennen müssen, und mittlerweile war mir der richtige Augenblick entgangen. Nichts ging mehr. Mir fiel der alte Umkehrwitz ein, mit dem man zu meinen jüngeren Zeiten meine Gesellschaft, deren Stempel ich hinten auf der Jacke trug, verspottet hatte: Gesellschaft zur Verwicklung und Entwertung
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