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Commissario Tron 5: Requiem am Rialto

Commissario Tron 5: Requiem am Rialto

Titel: Commissario Tron 5: Requiem am Rialto
Autoren: Nicolas Remin
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gerettet hatten. Der Bursche
keuchte laut, seine Maske war herabgerutscht. Aus seiner linken
Seite sickerte warmes Blut herab. Die Musik war abrupt abgebrochen,
und vor dem Sessel hatten sich, halbkreisförmig aufgestellt,
Gaffer eingefunden, die mit ihren vom Tanz erhitzten Gesichtern auf
ihn herabglotzten. Immerhin hatte er Geistesgegenwart genug, dem
Oberst das Stilett an die Kehle zu setzen.

57
    Tron, ein
Champagnerglas in der Hand und die Augenbrauen ungläubig
emporgezogen, blickte auf die beiden Männer herab, die sich
einen der Fauteuils an der Fensterseite der sala teilten. Ein Mann saß auf
dem Schoß des anderen. Ersterem war die Maske herabgerutscht,
und es handelte sich — klar erkennbar — um Oberst Stumm
von Bordwehr. Der Mann, auf dessen Schoß der Oberst
saß, war immer noch maskiert. Er hatte eine blonde
Perücke auf dem Kopf und trug ein Abendkleid aus schwarzem
Atlas. Es dauerte einen Augenblick, bis Tron begriff, dass das
Stilett, das der Mann mit der blonden Perücke dem Oberst an
die Kehle hielt, nicht aus silbern angestrichener Pappe bestand. Ein
kräftiger Stich, und Stumm von Bordwehr wäre auf der
Stelle tot. 
    Der Oberst hatte die
Augen geschlossen und stöhnte leise. Sein Frack war
geöffnet, und auf dem weißen Frackhemd war ein
handtellergroßer Blutfleck zu erkennen. Unterhalb seiner
Kehle, wo sich das Stilett in die Haut presste, war ein winziger
Trichter entstanden, aus dem rote Blutstropfen quollen. Tron
bezweifelte, dass eine barsche Aufforderung, die Waffe fallen zu
lassen, den Mann mit dem Stilett beeindrucken würde. Tron
deutete eine knappe Verbeugung an. «Was kann ich für Sie
tun, Signore?»
    Der Mund des Mannes
verzog sich zu einem Lächeln. «Ich nehme an»,
sagte er, «wir sind uns darüber einig, dass ich nicht
mehr viel zu verlieren habe.» Er gab ein seltsam hohes
Kichern von sich, und einen Moment lang hatte Tron die Illusion,
mit einer hysterischen Frau zu reden.
    «Was wollen
Sie?»
    Das Gesicht des Mannes
hob sich, als er sprach. Er drehte den Griff des Stiletts, und das
Licht der Kerzen glitt wie Wasser über die Klinge. «Ich
will einen Revolver», sagte er.
    «Warum? Sie
haben das Stilett. Das reicht, um den Oberst zu
töten.»
    Die Stimme des Mannes
klang gelangweilt. «Das mit dem Stilett funktioniert nur,
wenn ich es an seine Kehle halte.»
    «Das können
Sie doch», sagte Tron.
    «Ich habe nicht
die Absicht», sagte der Mann, «den Rest meines Lebens
auf diesem Sessel zu verbringen. Mit einem Offizier auf dem
Schoß, der ein Korsett trägt.»
    Bei dem Wort Korsett stöhnte der
Oberst auf. Tron sah, dass die Blutflecken auf dem weißen
Frackhemd größer geworden waren. Auf dem roten Stoff
zeichneten sich die Fischbeine als helle Striche ab.
Er fragte: «Wollen Sie uns verlassen?»
    «Ich würde
es in der Tat vorziehen», sagte der Mann im Ton
konventioneller Höflichkeit, «Ihre Gastfreundschaft
nicht länger zu beanspruchen. Aber dazu muss ich die Treppe
hinunterlaufen. Es wäre schön, wenn ich einen Revolver
hätte. Den könnte ich Signor Stumm an die Schläfe
setzen. Das wird Sie davon abhalten, etwas Heldenhaftes zu
unternehmen.»
    «Und
dann?»
    «Werden Sie mir
am Wassertor eine Gondel zur Verfügung stellen. Der Oberst
wird mich noch eine kleine Wegstrecke begleiten.»
    «Wohin wollen
Sie?»
    «Nur bis zu
einer Stelle, an der es sich bequem aussteigen lässt.»
Der Mann zuckte gleichgültig die Achseln. «Und ich mich
dorthin begeben kann, wo ich dieses Kleid
loswerde.»
    «Wer garantiert
uns, dass Sie den Oberst und den Gondoliere nicht
anschließend erschießen? Sie sagten, dass Sie nichts zu
verlieren haben.»
    Die Mundwinkel des
Mannes senkten sich. «Warum sollte ich die Männer
töten? Die Gondel wird mich absetzen und weiterfahren. Ich
werde im Nebel verschwinden.»
    «Ich kann Ihnen
nur einen Dienstrevolver zur Verfügung stellen», sagte
Tron.
    «Es wird mir ein
Vergnügen sein, ihn zu benutzen, Commissario», sagte der
Mann in den Frauenkleidern. 
    «Darf ich
Ihnen», sagte Tron im selben Ton konventioneller
Höflichkeit, «den Revolver meines Ispettore
anbieten?»
    Der Mann nickte.
«Aber sicher. Ich nehme nicht an, dass der Ispettore etwas
Törichtes versuchen wird, wenn er die Waffe aus seinem Holster zieht.
Vielleicht weisen Sie ihn als Vorgesetzter noch einmal
daraufhin.»
    «Das wird nicht
nötig sein», sagte Tron. Er drehte den Kopf zu Bossi,
der hinter ihn getreten war. «Geben Sie dem Mann Ihren
Revolver, Ispettore.»
    Bossi
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