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Commissario Tron 5: Requiem am Rialto

Commissario Tron 5: Requiem am Rialto

Titel: Commissario Tron 5: Requiem am Rialto
Autoren: Nicolas Remin
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kein Tuscheln. Das
Einzige, was er vernahm — und er war froh darüber, dass
nur er es hörte —, war das
wilde Schlagen seines Herzens, das den Klicklaut, mit dem die Waffe
einrastete,
übertönte.     
    Später schworen
alle, dass Bossis Paukenschlag und das gleichzeitige Klirren des
Beckens lauter gewesen seien als die Detonation des Revolvers. Den
Bruchteil einer Sekunde danach sah Tron, wie sich die rechte Hand
des Mannes - die mit dem Stilett — versteifte, ein paar
Zentimeter nach unten klappte und wie sich die Maske des Mannes
ruckhaft nach links bewegte. Tron riss den Revolver hoch, zog den
Abzug mit aller Kraft nach hinten und schloss instinktiv die
Augen.
    Der
Rückstoß riss ihm die Waffe aus der Hand, und der
Revolver fiel polternd zu Boden. Beißender Korditgeruch
breitete sich aus. Tron taumelte zurück und wäre
gestürzt, wenn ihn Bossi nicht aufgefangen hätte. Als er
die Augen wieder öffnete, lagen der Oberst und der Maskierte
übereinander auf dem Boden, und es war der herbeigeeilte
Spaur, der den stöhnenden Oberst hervorzog und nach einem Arzt
schrie. Erst als der Applaus der Ballgäste immer lauter wurde,
begriff Tron, dass ihm ein Meisterschuss gelungen war.
    Der Maskierte war so
mausetot, wie ein Mann es nur sein konnte. Die Kugel hatte sein
linkes Auge getroffen, die samtüberzogene Maske jedoch
wunderbarerweise unbeschädigt gelassen. Nur wenn man in die
Hocke ging, was Tron jetzt mit zitternden Knien tat, war auf dem
dunkelroten Hintergrund der Maske ein wenig Blut zu erkennen. Tron
drehte den Kopf des Toten zur Seite, zog vorsichtig die Maske vom
Gesicht und nahm die blutverklebte Perücke ab. Das Projektil
war widerstandslos durch die Weichteile des Kopfes gedrungen, hatte
aber, als es von innen auf den Schädelknochen traf, einen Teil
der Schädeldecke am Hinterkopf nach außen gesprengt,
sodass eine faustgroße Austrittswunde entstanden war. Auf der
Tapete hinter dem Stuhl war eine Collage von Blut, Gehirnmasse und
Knochenpartikeln zu erkennen — es war, als hätte jemand
eine Terrine mit anguille in umido an die Wand
geschleudert.
    Das Gesicht des Mannes
war bis auf das fehlende Auge unversehrt. Das andere, immer noch
glänzende Auge war geöffnet, und einen Moment lang
bildete Tron sich ein, dass er sich selbst in der Spiegelung auf
der dunklen Pupille erkennen konnte, den Feuerstoß der Waffe,
dahinter seine Gestalt in weißer Hemdbrust und in schwarzem
Frack - das alte, immer wieder kolportierte Märchen, von dem
er wusste, dass es nicht stimmte: dass in das Auge des Toten das
Abbild seines Angreifers eingebrannt sei. Und dann erkannte er den
Mann.

58
    Das Zitronensorbet,
von Massouda (oder Moussada) auf einer ovalen Platte serviert, kam
in der Form zweier fingerbreit auseinander platzierten,
honigmelonengroßen Halbkugeln, die auf einem Bett von
grünlichen Minzblättern ruhten. Die Halbkugeln wiesen
nicht die geringste Unregelmäßigkeit auf und wurden
jeweils von einer roten Kirsche gekrönt. Diese Art und Weise,
das Zitronensorbet zu servieren, gab der Angelegenheit einen
Einschlag ins Erotische, ließ sich aber auch philosophisch
deuten, denn zusammengefügt ergaben die beiden
Sorbethälften eine Kugel — Aristoteles zufolge,
erinnerte sich Tron, die perfekte Form schlechthin. Welcher Maler
hatte sich dadurch empfohlen, dass er aus der Hand einen absolut
runden Kreis zeichnete? War es Giotto gewesen? Oder Raffael? Und,
eine ganz andere, aber nicht weniger wichtige Frage: Gab es in der
Küche vielleicht noch mehr von diesen perfekten
Halbkugeln?
    Tron hatte sich, die
Tischsitten souverän ignorierend, bereits am Anfang des Diners
über das Dessert hergemacht und dabei versucht, die Ereignisse
der letzten Nacht in einem sinnvollen Zusammenhang darzustellen.
Nach einem anstrengenden, auf der Questura, der Kommandantura und
im Militärkrankenhaus verbrachten Tag hatte er dabei hin und
wieder die Übersicht verloren, worauf die Principessa jedes
Mal mit präzisen Fragen intervenierte — in ihrem
Florentiner Italienisch, das Tron insgeheim bewunderte und das ihn
zugleich nervös machte. Jetzt schien er, abgelenkt von den
erotisch-philosophischen Halbkugeln, eine Frage der Principessa
überhört zu haben.
    «Ich wollte
wissen, wie es ihm geht», sagte die Principessa. Sie
lächelte nachsichtig.
    Richtig, der Oberst.
Die Nachfrage der Principessa schien sich auf dessen
Gesundheitszustand zu beziehen. Offenbar hatte er sich an diesem
Punkt nicht deutlich genug
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