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Commissario Montalbano 14 - Die Tage des Zweifels

Commissario Montalbano 14 - Die Tage des Zweifels

Titel: Commissario Montalbano 14 - Die Tage des Zweifels
Autoren: Andrea Camilleri
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Maria, eine Stimme aus dem Jenseits. Da wird mir gleich ganz angst und bang.«
    »Beruhige dich, Catarè. Das ist kein Tenor Caruso, es ist ein Tenente Garrufo, ein Leutnant unten von der Hafenmeisterei.«
    »Da fällt mir aber ein Stein vom Herzen!«
    »Stell ihn durch.«
    »Commissario Montalbano? Garrufo am Apparat.«
    »Was gibt’s, Leutnant?«
    »Wir haben ein Problem. Den Toten.«
    Der Tod ist manchmal eine Erlösung, heißt es. Aber das gilt selbstverständlich nur für den Toten. Für die Hinterbliebenen, die sich weiter durchs Leben schlagen müssen, ist der Tod nicht selten eine ungeheure Belastung.
    »Was genau meinen Sie damit?«
    »Dottor Raccuglia ist da, und er lässt fragen, ob Sie nicht auf einen Sprung rüberkommen könnten.«
    Raccuglia war der Hafenarzt, ein seriöser und von allen geschätzter Mann. Auch der Commissario konnte ihn gut leiden. Und deshalb musste er auf einen Sprung rüberkommen, wie der Leutnant sich ausgedrückt hatte.
    »Gut, ich komme.«
    Kein Wölkchen stand am Himmel, nur die glitzernden Wasserpfützen auf der Straße ließen noch erahnen, was sich nur Stunden zuvor abgespielt hatte. Die Sonne würde bald untergehen, aber es war wieder heiß geworden. Wie auf einer tropischen Insel, dachte der Commissario. Mal Regen und dann wieder Sonnenschein, in ständigem Wechsel, an ein und demselben Tag. Nur dass dort die Menschen essen und trinken, worauf sie Lust haben, und sorglos in den Tag hineinleben – so wird es zumindest in den amerikanischen Spielfilmen dargestellt –, während wir hier essen, was uns der Arzt erlaubt, trinken, was unsere Leber verträgt, und uns unablässig über irgendetwas ärgern. Ein himmelweiter Unterschied.
    Das sogenannte Boot war eine ziemlich große, elegante Yacht. Sie lag am Hauptkai vor Anker und fuhr – sieh mal einer an – unter panamaischer Flagge. Am Fuß der Schiffstreppe erwarteten ihn ein Marineleutnant, Tenente Garrufo, wie sich herausstellte, und Dottor Raccuglia.
    Ein Stück entfernt bewachte ein Matrose von der Hafenmeisterei ein Schlauchboot, das man an den Kai gezogen hatte.
    An Bord der Yacht war niemand zu sehen. Die Schiffseignerin und die Crew mussten unter Deck sein.
    »Was gibt’s, Dottore?«
    »Ich musste Sie herbemühen, bevor die von der Gerichtsmedizin kommen und die Leiche zur Obduktion nach Montelusa schaffen. Ich möchte, dass Sie einen Blick auf sie werfen.«
    »Und warum?«
    »Weil sie Spuren …«
    »Ich habe mich vielleicht nicht richtig ausgedrückt, Dottore. Warum glauben Sie, dass die Sache in meine Zuständigkeit fällt? Wurde die Leiche denn nicht in Gewässern …«
    Leutnant Garrufo unterbrach ihn.
    »Das Schlauchboot mit der Leiche wurde direkt an der Hafeneinfahrt entdeckt, nicht in extraterritorialen Gewässern.«
    »Ah!«, machte Montalbano.
    Sein Versuch, den Fall auf andere abzuwälzen, war also gescheitert. Trotzdem wollte er versuchen, ob es ihm nicht doch noch gelang, den bitteren Kelch an sich vorüberziehen zu lassen. Zum Teufel mit diesen Floskeln!
    »Könnte es nicht sein, dass das Schlauchboot von der witterungsbedingt starken Strömung getragen wurde und …«
    Über diesen letzten kläglichen Abwehrversuch konnte Leutnant Garrufo nur schmunzeln.
    »Commissario, es ist keine angenehme Geschichte, da kann ich Sie sehr gut verstehen. Aber es steht außer Zweifel, dass das Schlauchboot aus dem Hafenbecken gekommen ist, und zwar gerade wegen der Strömungsverhältnisse, verstehen Sie?«
    Er hatte dieses »wegen« extra betont. Montalbano musste sich geschlagen geben.
    »Nun gut. Und wo ist die Leiche?«
    »Folgen Sie mir«, sagte der Leutnant. »Ich bringe Sie hin.«
    An Deck war keine Menschenseele. Sie stiegen in den Salon hinunter. Man hatte ein Wachstuch auf den Tisch gebreitet und den Toten daraufgelegt.
    Montalbano hatte ihn sich ganz anders vorgestellt. Vor ihm lag ein gut gebauter, etwa vierzigjähriger Mann, der vollständig nackt war. Sein Körper wies, zumindest auf der Vorderseite, weder Verletzungen noch Narben auf, das Gesicht jedoch war bis zur Unkenntlichkeit entstellt: eine form- und gestaltlose Masse aus Fleisch und Knochen.
    »Habt ihr ihn ausgezogen oder war er …?«
    »Mir wurde gesagt, dass sie ihn im Schlauchboot so gefunden haben. Nackt«, sagte Garrufo.
    »Und auch auf dem Rücken gibt es …«
    »Keine Anzeichen einer Verletzung.«
    In der Luft hing ein süßlicher Geruch. Es war keine frische Leiche. Der Commissario wollte gerade eine weitere Frage stellen,
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