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Commissario Montalbano 02 - Der Hund aus Terracotta

Commissario Montalbano 02 - Der Hund aus Terracotta

Titel: Commissario Montalbano 02 - Der Hund aus Terracotta
Autoren: Andrea Camilleri
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sonst würde sie ihn töten. Ich war überzeugt, daß sie damit nicht zögern würde. Zio Stefano sah seiner Tochter lange in die Augen, dann winselte er mit geschlossenem Mund, und ich glaube, nicht nur wegen seiner Verletzung, drehte sich um und ging hinaus. Ich verrammelte Türen und Fenster. Ich war völlig verängstigt, Lisetta war diejenige, die mir wieder Mut machte und Kraft gab. Auch am nächsten Morgen ließen wir alles verbarrikadiert. Gegen drei kam Mario, wir erzählten ihm, was mit Zio Stefano passiert war, da beschloß er, die Nacht bei uns zu verbringen, er wollte uns nicht allein lassen, Lisettas Vater würde bestimmt wiederkommen. Gegen Mitternacht gab es einen schrecklichen Bombenangriff auf Vigàta, aber Lisetta war ganz ruhig, weil sie ihren Mario bei sich hatte. Am Morgen des neunten Juli ging ich nach Vigàta, um nachzusehen, ob unser Haus im Dorf noch stand. Ich beschwor Mario, niemandem zu öffnen und das Gewehr griffbereit zu halten.«
    Er verstummte. »Meine Kehle ist trocken.«
    Montalbano lief in die Küche und kam mit einem Glas und einer Karaffe frischem Wasser zurück. Mit beiden Händen nahm der Alte das Glas, er zitterte stark. Der Commissario empfand tiefes Mitleid mit ihm.
    »Wenn Sie eine Pause machen wollen, dann reden wir nachher weiter.«
    Der Alte schüttelte den Kopf. »Wenn ich jetzt aufhöre, geht es nachher nicht mehr weiter. Ich blieb bis zum späten Nachmittag in Vigàta. Das Haus war nicht zerstört, aber es sah schrecklich aus, Türen und Fenster waren aufgrund der Druckwellen herausgerissen, Möbel umgestürzt, Scheiben zerbrochen. Ich räumte auf, so gut es ging, und arbeitete bis abends. In der Einfahrt fand ich mein Fahrrad nicht mehr, es war gestohlen. Zu Fuß machte ich mich auf zum Crasto, eine Wegstunde. Ich mußte ganz am Rand der Provinciale laufen, weil in beiden Richtungen unzählige Militärfahrzeuge unterwegs waren, italienische und deutsche. Als ich an dem Weg ankam, der zum Haus führte, tauchten sechs amerikanische Jagdbomber auf, die das Feuer eröffneten und Splitterbomben abwarfen. Sie flogen sehr tief und machten einen furchtbaren Lärm. Ich warf mich in einen Graben, da traf mich fast im selben Augenblick mit großer Wucht ein Gegenstand am Rücken. Ich hielt ihn zuerst für einen großen Stein, der von einer explodierenden Bombe weggeschleudert worden war. Aber es war ein Soldatenstiefel, noch mit dem Fuß darin, der über dem Knöchel abgerissen war. Ich sprang auf, bog in den Weg ein und mußte stehenbleiben, um mich zu übergeben. Meine Beine trugen mich nicht mehr, und ich fiel zwei- oder dreimal hin, während hinter mir der Lärm der Flugzeuge verhallte; jetzt hörte man deutlich, wie die Menschen schrien, weinten, beteten und Befehle zwischen den brennenden Lastwagen hin- und herflogen. In dem Augenblick, als ich mein Haus betrat, knallten zwei Schüsse im oberen Stockwerk, ganz kurz hintereinander.
    Zio Stefano – dachte ich – ist ins Haus eingedrungen und hat seine Rache zu Ende gebracht. Neben der Tür lehnte eine große Eisenstange, die wir sonst zum Verriegeln benutzten. Ich nahm sie und schlich die Treppe hinauf. Die Schlafzimmertür war offen, ein Mann stand direkt hinter der Schwelle, er hielt noch den Revolver in der Hand und wandte mir den Rücken zu.«
    Der alte Mann hatte die ganze Zeit über nie den Blick auf den Commissario gerichtet, aber jetzt sah er ihm ins Gesicht.
    »Finden Sie, daß ich wie ein Mörder aussehe?«
    »Nein«, antwortete Montalbano. »Und wenn Sie damit den Mann mit der Waffe in der Hand meinen, der im Zimmer stand – seien Sie beruhigt, das war eine Zwangslage, es war Notwehr.«
    »Wer einen Menschen ermordet, ist und bleibt ein Mörder, was Sie da sagen, sind die juristischen Formeln für hinterher. Was zählt, ist der Wille des Augenblicks. Und ich wollte diesen Mann ermorden, was auch immer er Lisetta und Mario angetan hatte. Ich hob die Eisenstange und versetzte ihm einen Schlag in den Nacken, mit aller Kraft und der Hoffnung, ihm den Kopf zu zerschmettern. Als er stürzte, gab der Mann den Blick auf das Bett frei. Da lagen Mario und Lisetta, nackt, umschlungen, in einem Meer von Blut. Sie mußten, während sie sich liebten, von dem Bombenangriff ganz nah beim Haus überrascht worden sein und hatten sich vor Angst so ineinander verschlungen. Für sie konnte ich nichts mehr tun. Für den Mann, der hinter mir am Boden lag und röchelte, vielleicht schon. Mit einem Fußtritt drehte ich sein Gesicht
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