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Commissaire Mazan und die Erben des Marquis: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)

Commissaire Mazan und die Erben des Marquis: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)

Titel: Commissaire Mazan und die Erben des Marquis: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)
Autoren: Jean Bagnol
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der Polizei, auf der Straße kontrolliert und durchsucht worden? Dass Zadiras Schönheit nicht lieblich, sondern wild, ja beinah gefährlich wirkte, hatte es ihr nicht leichter gemacht.
    Deswegen war Zadira zur Polizei gegangen. Um auf Menschen aufzupassen, die anders aussahen. Um dafür zu sorgen, dass es keine Drei-Klassen-Gesetze gab.
    Aber jetzt, mit dreiunddreißig Jahren, musste Zadira erkennen, dass sie bis ans Lebensende die Farbe der Verachtung im Gesicht tragen würde. Dass Demütigungen niemals aufhörten.
    Der Wagen begann, röhrend die Südflanke des Mont Ventoux zu erklimmen.
    Sie war von einem Kriegsgebiet ins nächste abgeschoben worden. Weil sie das falsche Berufsethos besaß. Sie hatte Kollegen erwischt, die ihre Finger im Drogengeschäft hatten. Aber sie hatte nicht wie die anderen den Mund gehalten. Außerdem hatte sie den falschen Mann in ihr Bett gelassen. Attraktiv, erfolgreich, verheiratet. Und, ach ja: Nebenbei war er noch ihr Boss gewesen. Javier Gaspard, der angesehene Chef der Anti-Drogenpolizei. Favorit für die Nachfolge des Polizeipräfekten, ein Mann, der drei Jahre um Zadira gebuhlt hatte. Wahrscheinlich nur, um zu erfahren, was die exotische Polizistin in seiner Einheit wohl unter ihren Männerklamotten trug. Jedenfalls keinen BH, den brauchte Zadira nicht. Das Einzige, was sich die Polizistin an weiblichen Attributen gönnte, war ihr langes Haar, das sie allerdings täglich unter einer ihrer zahllosen Sportkappen verbarg. Javier hatte ihr schwarzes Haar gern gebürstet, sich darin eingehüllt, sie daran näher zu sich herangezogen …
    Zadiras Körper erinnerte sich schmerzhaft deutlich an Javiers wissende Hände. Seinen kosenden Mund. Sie erinnerte sich, wie sicher sie sich bei ihm gefühlt hatte.
    Erst war Javier Gaspard nicht mehr ans Handy gegangen. Dann durfte Lieutenant Matéo nicht mehr in sein Büro. Als Nächstes gab es Gerüchte über Zadiras »Verbindungen« ins Milieu, zu den copains und den »großen Brüdern«, wie die Bosse der Jugendbanden und Kleindealer genannt wurden.
    »Du musst hier raus«, beschwor Javier Zadira bei einem ihrer letzten Treffen in der La-Major-Kathedrale. »Nur eine Weile, bis Gras über die Sache gewachsen ist. Vertrau mir.«
    Aber Zadira vertraute niemandem, der ihr sagte: Vertrau mir. Sie recherchierte, wer die Gerüchte streute; da hieß es auf einmal, sie ermittle gegen Kollegen.
    Javier ließ Zadira versetzen, per Eilbefehl. Weit in den Norden der Provence. Ohne sie zu fragen, und ohne sie zu warnen.
    Also Mazan. Fünftausend Einwohner, jede Menge Wein, ein Handballverein mit ruhmreicher, aber lang zurückliegender Vergangenheit. Und ein Sergeant, der die Wache so eifersüchtig verteidigte wie ein Kind seine Sandkuchenförmchen.
    Die Bäume neben der Gipfelstraße wurden immer spärlicher. Schließlich hörte der Wald ganz auf.
    Jetzt war die Polizistin auf der baumlosen Spitze des Mont Ventoux angekommen, bis auf den kalkweißen Fels vom Mistral saubergepustet, gekrönt von einem viereckigen Observationsturm. Eine karstige Mondlandschaft ohne Schatten.
    Als sie ausstieg, zerrte der schreiende Wind an ihrer dünnen Hose und dem Oberhemd. Im Tal hatte sie geschwitzt, aber hier oben, auf fast zweitausend Metern, war es um die zwanzig Grad kühler. Sie holte das Fernglas aus dem Kofferraum.
    Zadira fixierte erst das silberne, geschlängelte Band der Rhône und folgte dann mit ihrem Blick langsam ihren Kurven.
    Es hieß, vom Windberg aus könne man die Pyrenäen sehen. Und das Meer.
    Sie suchte – und fand das Ende Frankreichs.
    Und dann sah sie es. Das Meer, das funkelnde, weite Meer. Das dreckige, brutale, das geliebte Marseille. Da irgendwo war es mal gewesen. Ihr Leben.
    Es war so fern!
    Die Lider an die Okulare des Fernglases gepresst, schluchzte Zadira Camille Matéo leise. Sie schluchzte, ohne zu weinen.
    Nach einer halben Stunde war sie erschöpft. Zurück blieb ein warmer Schmerz von Leere.
    Der Tag übergab die Stunden der Nacht, und über dem Vaucluse begann die Luft in Gold und Rosa zu zittern. Der Sonnenuntergang färbte das Land intensiver, als Zadira es von Marseille gewohnt war – dort bemerkte man den Übergang von Tag zu Nacht nur daran, dass die endlosen Reihen von Straßenlampen aufflammten. Hier jedoch, über den Bergen und den zwischen Felsen und Reben hingeworfenen Dörfern, brannten die Wolken, hier glühte das Land in tausend Farben.

    Zadira ließ sich Zeit, in der blauschwarzen Dämmerung nach Mazan
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