Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Commedia und Einladungsband: I.Commedia. In deutscher Prosa von Kurt Flasch II.Einladung, Dante zu lesen (German Edition)

Commedia und Einladungsband: I.Commedia. In deutscher Prosa von Kurt Flasch II.Einladung, Dante zu lesen (German Edition)

Titel: Commedia und Einladungsband: I.Commedia. In deutscher Prosa von Kurt Flasch II.Einladung, Dante zu lesen (German Edition)
Autoren: Dante Alighieri , Kurt Flasch
Vom Netzwerk:
Gualandi, die Sismondi und die Lanfranchi vor sich her geschickt. Nach kurzem Lauf sah ich den Vater und die Söhne erschöpft und ihre Flanken von scharfen Hauern zerfetzt.
    37   Ich war vor Morgen aufgewacht. Da hörte ich meine kleinen Söhne, die bei mir waren; sie weinten im Schlaf und baten um Brot. Grausam bist du, wirklich grausam, wenn es dir nicht jetzt schon weh tut, was mein Herz voraussah. Wenn du jetzt nicht weinst, worüber weinst du denn sonst?
    43   Sie waren schon wach, als die Stunde kam, zu der uns sonst zu essen gebracht wurde. Jeder von uns war nach Hungerträumen voll von Angst, da hörte ich, wie sie unten den Ausgang des schrecklichen Turms zunagelten. Ich sah meine kleinen Söhne an, sagte kein Wort. Ich weinte nicht: ich versteinerte. Die Kinder weinten, und mein Anselmuccio fragte: ›Du schaust so, Vater. Was hast du?‹ Darum weinte ich nicht und antwortete nicht den ganzen Tag und die folgende Nacht, bis die Sonne in die Welt zurückkam.
    55   Als ein schwacher Lichtstrahl einfiel in das schreckliche Verlies und ich auf vier Gesichtern mein eignes Bild erblickte, da biß ich mir vor Schmerz in beide Hände, und sie, weil sie dachten, ich täte dies aus Hunger, standen sofort auf und sagten: ›Vater, es tut uns viel weniger weh, wenn du von uns ißt. Du hast uns bekleidet mit diesem elenden Fleisch. Nimm es dir wieder.‹ Da beruhigte ich mich wieder, um sie nicht noch trauriger zu machen. An diesem Tag und am nächsten blieben wir ganz stumm.
    66   Oh weh, harte Erde, warum tatst du dich nicht auf?
    67   Als der vierte Tag kam, da warf Gaddo sich vor mir hingestreckt zu Füßen und rief: ›Mein Vater, warum hilfst du mir nicht?‹ Dann starb er. Und so wie du mich hier siehst, so sah ich zwischen dem fünften und dem sechsten Tag die drei, einen nach dem andern, fallen. Drauf begann ich, schon blind, über jeden hinzutasten. Zwei Tage rief ich noch nach ihnen, als sie schon tot waren. Dann übermannte mich der Hunger mehr noch als der Schmerz.«
    76   Als er das gesagt hatte, schlug er mit verdrehten Augen die Zähne, hart wie Hundezähne, wieder in den Unglücksschädel. [245]  
    79   O weh Pisa! Schande der Menschen des schönen Landes, in dem das »si« ertönt! Wenn schon deine Nachbarn zu träge sind, dich zu strafen, dann sollen doch die Inseln Capraia und Gorgona sich aufmachen und die Mündung des Arno verstopfen, so daß er alle Menschen in dir ertränkt! Und wenn man vom Grafen Ugolino auch sagte, er habe dich verräterisch um deine Festungen gebracht, dann durftest du doch seine Kinder nicht einer solchen Folter aussetzen, du neues Theben! Unschuldig machte sie ihr junges Alter, den Uguccione, den Brigata und die anderen beiden, die mein Lied vorher nannte.
    91   Wir gingen weiter bis dorthin, wo das Eis andere Menschen grausam einschließt, diesmal nicht nach vorn gebeugt, sondern ganz auf dem Rücken ausgestreckt. Das Weinen selbst verhindert dort das Weinen, und der Schmerz, der auf den Augen eine Sperre findet, kehrt sich nach innen und steigert die Not, denn die ersten Tränen werden in der Kälte zu Eisklumpen und füllen wie Visiere aus Kristall unter den Brauen die ganze Augenhöhle. Und obwohl aus meinem Gesicht wegen der Kälte wie bei einer Schwiele jedes Gefühl gewichen war, war mir doch, als spüre ich etwas wie Wind. Deswegen fragte ich: »Wer setzt den Wind denn in Bewegung? Ist hier unten nicht jeder Dampf ausgeschlossen?« [246]   Darauf er zu mir: »Bald gibt dir darauf dein Auge die Antwort, wenn es die Ursache sieht, die das Wehen erzeugt.«
    109   Einer der Elenden in der kalten Kruste schrie uns zu: »O ihr Seelen, ihr seid zwar so grausam, daß euch der unterste Ort zugewiesen ist, aber könnt ihr mir nicht mal die harten Schleier vom Gesicht kratzen, damit ich den Schmerz loswerde, der mir das Herz abdrückt, bevor die Tränen wieder gefrieren?« Darauf ich zu ihm: »Wenn du willst, daß ich dir helfe, dann sage mir, wer du bist. Und wenn ich es dir dann nicht wegkratze, dann gehöre auch ich ins tiefste Eis.« Daraufhin antwortete er: »Ich bin Bruder Alberigo, ich bin der mit dem Obst aus dem schlimmen Garten, und ich bekomme hier Datteln für Feigen.« [247]   »Oh«, sagte ich zu ihm, »bist du denn schon tot?« Und er zu mir: »Was mit meinem Körper oben in der Welt los ist, weiß ich nicht. Den Vorteil hat dieses ptolemäische Land: Oft stürzt eine Seele hier herunter, bevor Atropos ihr den Stoß gibt. [248]   Aber
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher