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Commedia und Einladungsband: I.Commedia. In deutscher Prosa von Kurt Flasch II.Einladung, Dante zu lesen (German Edition)

Commedia und Einladungsband: I.Commedia. In deutscher Prosa von Kurt Flasch II.Einladung, Dante zu lesen (German Edition)

Titel: Commedia und Einladungsband: I.Commedia. In deutscher Prosa von Kurt Flasch II.Einladung, Dante zu lesen (German Edition)
Autoren: Dante Alighieri , Kurt Flasch
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Fehler hätte es keine Entschuldigung gegeben. Wir stiegen auf durch einen schmalen Felsengang, der einmal nach links, einmal nach rechts abbog, wie eine Welle, die kommt und geht. »Hier durchzukommen, dazu muß man sich ein wenig auf die Kunst verstehen«, begann mein Begleiter, »sich einmal hier, einmal dort anzulehnen, je an die Seite, die Raum gibt.« Wir gingen so vorsichtig, daß der Mond mit der dunkleren Seite sein Bett erreichte, um sich darin auszuruhen, ehe wir das Nadelöhr hinter uns hatten.
    17   Aber als wir im Freien und Offenen waren, oben, wo der Berg sich weiter hinten wieder verengt, war ich ermattet; wir beide wußten den Weg nicht und blieben auf einer Fläche stehen, die einsamer war als Wüstenstraßen. Von ihrem Rand, der ans Leere grenzt, bis zum Fuß der Steilwand, die hart nach oben geht, mißt sie wohl dreimal das Maß eines menschlichen Körpers. So weit meine Augen reichten, sei’s nach der linken, sei’s nach der rechten Seite, blieb dieser Rahmen immer gleich. Noch hatten da oben unsere Füße keinen Schritt getan, da bemerkte ich: Die Steilwand, die keine Möglichkeit zum Aufstieg bot, bestand aus reinem Marmor und war geschmückt mit Skulpturen, die nicht nur Polyklet, sondern die Natur selbst beschämt hätten.
    34   Da stand der Engel, der zur Erde kam, den viel vermißten Frieden zu verkünden, und der den lang versagten Himmel öffnete, so wahrhaftig vor uns, gemeißelt mit so liebenswürdiger Gebärde, daß er mehr schien als ein stummes Bild. Man hätte geschworen, daß er jetzt Ave sagt, denn da war die Frau dargestellt, die den Schlüssel drehte, der die hohe Liebe aufschließt. Ihre Gebärde drückte ihr Wort Ecce ancilla dei, Sieh, ich bin die Magd Gottes, so genau aus, wie ein Siegel sein Bild ins Wachs drückt.
    46   »Richte deinen Geist nicht immer nur auf die eine Stelle«, sagte mein freundlicher Meister, zu dem ich auf der Seite stand, wo Menschen das Herz haben. Ich wendete den Blick und sah hinter Maria, auf der Seite des Mannes, der mich führte, eine andere Szene in Stein gehauen; weshalb ich an Vergil vorbei näher heranging, so daß sie meinen Augen besser zugänglich war. Dort waren, eingeschnitten in den Marmor selbst, der Wagen und die Ochsen, die die heilige Lade zogen, deretwegen ein Amt ohne Auftrag zu fürchten ist. [316]  
    58   Davor sah man Volk, eingeteilt in sieben Chöre. Das Auge sagte: Ja, sie singen, aber das Ohr sagte: Nein. Genau so widersprachen sich bei dem Weihrauch, der dort dargestellt war, Auge und Nase wie Ja und Nein. Vor der geweihten Lade tanzte mit hochgeschürztem Rock der demütige Psalmensänger daher. In diesem Augenblick war er mehr und zugleich weniger als ein König. Gegenüber, am Fenster eines großen Palastes, war Micol dargestellt, Davids Frau, die entsetzt zusah, voll Verachtung und Trauer. [317]  
    70   Ich bewegte die Füße weg von dem Ort, wo ich stand, um eine andere Szene aus der Nähe zu betrachten, die hinter Micol weiß hervorleuchtete. Hier war der hohe Ruhm des römischen Herrschers erzählt, dessen Edelmut Gregor zu seinem großen Sieg bewegte. [318]   Ich spreche vom Kaiser Trajan und der kleinen Witwe, die ihm in die Zügel griff, dargestellt in Schmerz und Tränen. Der Platz ringsum wimmelte von Pferden und Reitern. Über ihnen flatterten im Wind, für alle sichtbar, die Adlerfahnen im goldenen Feld. Die arme alte Frau unter all diesen Leuten sagte sichtlich: »Herr, schaffe mir Rache für meinen Sohn. Er wurde getötet, und das bricht mir das Herz.« Und er antwortete ihr offenbar: »Warte nur, bis ich zurück bin.« Und sie, wie ein Mensch, den Schmerz zur Eile drängt: »Mein Herr, und wenn du nicht zurückkehrst?« Und er: »Der an meiner Stelle wirkt, der wird es dir schaffen.« Und sie: »Was hast du davon, wenn ein anderer das Gute tut, das du versäumst?« Und er: »Nun gut! Ich will zuerst meine Pflicht erfüllen, bevor ich in den Krieg ziehe! Die Gerechtigkeit verlangt es; Mitleid hält mich hier fest.«
    94   Der, der niemals Neues sieht, hat dieses sichtbare Sprechen hervorgebracht. Neu ist es für uns, weil es das auf Erden nicht gibt.
    97   Während ich es genoß, die Bilder großer Demut zu betrachten, die zu sehen mir auch wegen ihres Künstlers lieb war, murmelte der Dichter: »Da kommen sie, langsamen Schritts. Viele Menschen. Sie werden uns den Weg nach den oberen Stufen zeigen.« Meine Augen, noch versunken in die Anschauung, aber immer gierig, Neues zu sehen,
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