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Columbus war ein Englaender

Columbus war ein Englaender

Titel: Columbus war ein Englaender
Autoren: Stephen Fry
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Bilder ergebe, als daß ich mich hinsetze und krampfhaft die Vergangenheit heraufzubeschwören versuche.
    Meine Mutter gab gelegentlich Englischkurse für ausländische Studenten und Geschichtsunterricht an Colleges und Schulen in der Umgebung, doch in meiner Erinnerung sitzt sie im Eßzimmer an einer Schreibmaschine, während ich mich zu ihren Füßen auf dem Boden lümmle, in ein Gasfeuer starre und im Radio Mrs. Dale’s Diary, Twenty Questions oder den Archers lausche. Oder ich höre ihre Stimme, die höher und lauter, aber auch langsamer und zusammenhangloser redete, wenn das Telefon geklingelt hatte und sie zu der Kabine im Flur geeilt war. Ich schwöre, es ist keine fünf Jahre her, als ich sie zuletzt mit ihrer liebenswürdigen Klar-und-deutlich-für-Ausländer-Stimme in die Muschel sprechen hörte:
    »Wenn Sie in einer Telefonzelle sind, drücken Sie bitte Knopf B ...«
    Dabei müssen die Knöpfe A und B aus öffentlichen Telefonzellen seit mindestens zwanzig Jahren verschwunden sein.
    Für mich ist dies das Bild meiner Kindheit. Ganz für mich die wohlige Wärme genießend, die das Gasfeuer, meine hochschwangere Mutter und ihr Ferguson-Radio verbreiten.Wenn ihr danach war, gesellte sich unsere siamesische Katze dazu, aber in meiner Erinnerung sind wir zwei allein. Manchmal erheben wir uns, meine Mutter streckt sich, die Hände auf die Hüften gestemmt, sucht nach Kopftuch und Regenmantel, und wir brechen zu einem Spaziergang auf. Wir schauen beim Friseur vorbei, dem Gemischtwarenladen, der Post und zuletzt bei Quell’s, wo ich geräuschvoll einen Himbeer-Milchshake mit dem Strohhalm schlürfe, während meine Mutter mit selig geschlossenen Augen ein Melonen- oder Tomaten-Sorbet löffelt. Auf dem Rückweg füttern wir die Enten im Park mit hartem Brot. Die ganze Zeit über erzählt sie mir von allen möglichen Dingen. Was bestimmte Wörter bedeuten. Warum Autos Nummernschilder haben. Wie sie Daddy kennengelernt hat. Warum sie demnächst ins Krankenhaus muß, wenn das Baby kommt. Und sie erfindet immer neue Geschichten mit dem Koala-Bären Bananas. Eins seiner Abenteuer handelt davon, daß Bananas nach England reist, um Weihnachten bei seinen Verwandten in Whipsnade zu verbringen. Der arme Kerl muß fürchterlich frieren, da er angenommen hatte, in Buckinghamshire herrsche im Dezember brüllende Hitze, und deshalb nur Shorts, Badehose und Sandalen eingepackt hat. Wie alle Kinder muß ich über die Dummheit anderer lachen, die keine Ahnung von Dingen haben, die wir selbst erst kurz zuvor gelernt haben.
    Seitdem geht es im Leben ständig bergab. Oder wäre bergauf treffender?
    Sobald wir in die Stanley Avenue einbiegen, veranstalten wir ein Wettrennen bis zum Haus, das meine Mutter, hochschwanger, wie sie ist, jedesmal fast gewinnt. In ihrer Schulzeit war sie ein großes Sportas und hat sogar in der englischen Hockeyauswahl der Mädchen im Tor gestanden.
    In Chesham gab es Au-pair-Mädchen, die gewöhnlich aus Deutschland oder Skandinavien stammten, es gab Mrs. Worrell, die den Boden schrubbte, es gab Roger und am Abend den furchtgebietenden Anblick meines Vaters. Doch das einzigeBild in meiner Erinnerung ist das meiner Mutter an der Schreibmaschine (einmal sagte sie laut fuck , nicht daran denkend, daß ich unter ihrem Stuhl saß) und mir, wie ich in die blauen und orangefarbenen Flammen starre.
    An einem Morgen, an dem ich aus vorgetäuschtem oder tatsächlichem Unwohlsein zu Hause geblieben war, kam meine Mutter zu mir ans Bett, die Hände erschöpft in die Hüften gestemmt, und sagte, sie müsse jetzt ins Krankenhaus. Roger hatte sich einige Mühe gegeben, mir zu erklären, wo die Babys herkommen. Dabei mußte einer von uns oder auch alle beide einiges durcheinandergeworfen haben, zumindest war in meinem Kopf die Vorstellung hängengeblieben, mein Vater sei eine Art Gärtner, der ein Samenkorn in den Bauchnabel meiner Mutter steckt und dann mit seinem Pipi bewässert. Eine zugegeben seltsame Vorstellung, die aber Marsbewohnern auch nicht abwegiger erscheinen dürfte als die platte Wahrheit.
    Das Resultat all dessen war die kleine Joanna. Ihren zweiten Vornamen Roselle hatte sie von meiner Großmutter aus Wien, der Mutter meiner Mutter. Mit Feuereifer half ich mit, mein neues Schwesterchen zu füttern und anzuziehen, in der glühenden Hoffnung, als erster von ihr angelächelt zu werden.
    Ich war nun offiziell ein mittleres Kind.
    Eine Woche später zogen wir von Chesham nach Norfolk.

2.
    Es ist Januar 1965.
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