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Codex Mosel

Titel: Codex Mosel
Autoren: Mischa Martini
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Abschied die Hand schütteln sollte. »Wie kommst du eigentlich nach Hause?«
    »Kann dir doch egal sein.« Der Jüngere behielt den trotzigen Ton bei.
    »Komm, ich nehm dich mit.« Bernard hatte das nicht geplant. Hier sollten sich ihre Wege für immer trennen, aber er konnte nicht riskieren, dass sein Komplize noch in der Nacht geschnappt wurde.
     
    Die leeren Straßen der Stadt schienen nur für sie beide beleuchtet zu sein. Bernard trat auf die Bremse des Audis, als die nahe Ampel auf Gelb wechselte. Er beobachtete aus dem Augenwinkel, wie sein Beifahrer mit hastigem Griff den schuhkartongroßen Gegenstand auf seinen Oberschenkeln am Rutschen hinderte. Die lange Gerade vor ihnen verlor sich im Dunst. Weder auf der Straße noch auf dem Bürgersteig war jemand unterwegs.
    Beim Anfahren schreckte Bernard zusammen, als ein Wagen mit hohem Tempo an ihnen vorbeiraste. Das kleine gelbe Licht des Taxis verschwand, noch während Bernard tief durchatmete.
    »Wo fährst du überhaupt hin?«
    »Erst das Zeug wegbringen und anschließend dich nach Hause.«
    Sein Beifahrer steckte die Handschuhe ein und schaltete das Radio an.
    »Lass es bitte aus!«, sagte Bernard.
    »Warum?«
    Bernard seufzte. Bis auf die Inanspruchnahme von Informanten und kleineren Hilfsdiensten arbeitete er für gewöhnlich allein. Den Wagen hatte er in Luxemburg gemietet. Autodiebstahl gehörte nicht zu seinen Fertigkeiten.
    »Mit fünfzig Sachen?«, fragte sein Komplize.
    »Ich möchte nicht auffallen.«
    »Die Alarmanlage im Dom war doch ausgeschaltet?«
    Bernard schloss kurz die Augen und nickte. Am liebsten hätte er angehalten und den Kerl aus dem Wagen geworfen, aber er konnte ihn unmöglich um diese Zeit zu Fuß durch die Straßen laufen lassen. Wie der Zufall es wollte, würde der noch eine offene Kneipe finden. Bernard konnte nicht riskieren, dass sein Komplize aufflog, bevor der Codex im Bankdepot und er selbst auf Nimmerwiedersehen verschwunden war. Hinzu kam, dass er nun auch noch den Wagen kannte und sich vermutlich das Kennzeichen merken würde. Wenn er nicht unter so einem gewaltigen Druck stehen würde, hätte er die Aktion bereits am frühen Abend abgebrochen, bevor ihm der Gärtner in die Quere kam. Jetzt gab es kein Zurück mehr.
    »Wo willst du das Zeug verstecken?«, fragte Bernard.
    »Ich muss noch nachdenken. Fahr mal auf die andere Moselseite.« Sein Beifahrer schlug das Tuch von dem Gegenstand auf seinem Schoß zurück und schaltete das Innenlicht ein.
    »Willst du ihn vielleicht als Kühlerfigur präsentieren? Wir sind nicht allein auf der Straße.« Bernard schaltete vor einer Kreuzung zurück.
    »Einen Moment noch.«
    Bernard musste sich auf das Abbiegen konzentrieren. Er hörte ein Geräusch, als würde eine Holzschublade aufgezogen.
    »Was ist denn das?« Sein Begleiter machte in dem Moment, als er ein lederartiges Stück aus dem Tragaltar zerrte, das Licht aus.
    »Wahrscheinlich eine Reliquie vom heiligen Andreas.«
    »Echt?« Als wäre der Gegenstand glühend heiß, ließ der Mann ihn in den Kasten zurückfallen.
    Auf der Brücke erfasste der Scheinwerfer eines Schiffes den Wagen.
    Der Jüngere hielt das Nagelreliquiar ins Licht.
    »He, hier kann jeder reingucken«, sagte Bernard, als einige Leute aus der Kneipe am Brückenkopf traten.
    Als der Wagen über einen Bahnübergang ruckelte, hörte Bernard einen erstaunten Ausruf. »Guck mal!«
    Er sah kurz hinüber auf einen dunklen, länglichen Stift und eine Hälfte des Nagelreliquiars, das sein Komplize geöffnet hatte.
    »Du hältst wahrscheinlich den Heiligen Nagel in Händen.«
    »Was?«
    »Der war doch im Nagelreliquiar.«
    »Echt, dann ist das …«
    Bernard nickte, während sein Beifahrer das Nagelreliquiar wieder verschloss und es zu der Reliquie in den Andreas-Tragaltar legte.
    *
    Veit wurde erst wach, als die Scheinwerfer bereits die Bäume unten im Busental anstrahlten. Obwohl es am späten Abend zu regnen begonnen hatte, war die Luft nicht kalt, sodass Veit, müde vom Graben, beschlossen hatte, die Nacht im trockenen Sand unter dem Felsvorsprung zu verbringen, wo noch ein Rest der Wärme des Tages zu spüren war.
    Unten leuchteten die Bremslichter des Wagens. Der Motor wurde abgeschaltet, das Licht erlosch. Im Tal war es stockdunkel. Das Tropfen des Regens von den Blättern ließ Veits Gedanken in bizarre Welten gleiten. Er schloss die Augen, spürte an der Schwere seines Körpers, dass er gleich wieder einschlafen würde. Eine Autotür wurde zugeschlagen. Veit
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