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Codex Mosel

Titel: Codex Mosel
Autoren: Mischa Martini
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und zum anderen haben wir den Codex von der Stadtbibliothek ausgeliehen.« Adams fuhr sich an die Stirn. Er trug nun feine Handschuhe in der Farbe seines Pullovers. »Nicht auszudenken, wenn es zu einer Beschädigung käme.«
    Sie deutete auf eine Staffelei, auf der ein aufgeschlagenes Faksimile des Codex lag. »Können wir das Buch wegnehmen und die Seiten darauf stellen?«
    »Das habe ich befürchtet.« Er trat an die Staffelei und schlug das Buch auf. »Das ist ein sehr gelungenes Faksimile. Hier die Anbetung des Jesuskindes durch die Heiligen Drei Könige, ein wirklich unübertroffener Höhepunkt der Buchmalerei, tausend Jahre alt, die Farbnuancen, die Eintönung des Goldes, das Relief seiner Ziselierung, alles wunderbar wiedergegeben. Im Gegensatz zu diesem hier.« Er zog das Bündel Papier aus der Innentasche seiner Jacke und rollte es auf. Zum Vorschein kam das gleiche Bild.
    Edith zog ihre Jacke aus und legte sie auf eine der Vitrinen. Sie beugte sich über das Bild und sah die eklatanten Farbunterschiede. »Was ist passiert?«
    »Bei drei Bildern sind versehentlich Dateien von nicht farbangepassten Aufnahmen in den Katalog geraten. Ich habe heute bei der Druckabnahme die Maschinen stoppen lassen.«
    »Konnten die Drucker die Farben nicht angleichen?«
    »Da war nichts zu machen.«
    »Und wo sind die richtigen Daten? Zum Beispiel diejenigen, die man hierfür verwendet hat?« Sie deutete auf das Faksimile.
    »Das weiß der Himmel.« Der Professor breitete theatralisch die Hände aus. »Irgendwo zwischen der Schweiz und Deutschland unterwegs. Morgen muss der Rest gedruckt und am Mittwoch gebunden werden, damit der Ausstellungskatalog pünktlich zur Eröffnung am Donnerstag vorliegt.«
    »Und wenn Sie den hier nähmen?« Edith hob das Buch an.
    »Vorsicht bitte, davon gibt es gerade mal zweihundert Stück zum Einzelpreis von knapp siebentausend Euro.«
    Sie seufzte. Dann musste sie eben versuchen, mit den nicht unbedingt dafür geeigneten Mitteln das beste Ergebnis zu erzielen.
    Sie brachte die Staffelei auf eine niedrigere Höhe, richtete die mit Filtern gedämpften Scheinwerfer darauf und positionierte das Stativ mit der Kamera so, dass sie weitgehend gerade Kanten im Sucher registrierte.
    Adams balancierte das erste Blatt vorsichtiger als ein rohes Ei aus der Vitrine auf die Staffelei und blieb mit ausgestreckter, behandschuhter Hand daneben stehen, bereit, sofort einzugreifen, falls es drohte, hinunterzufallen.
    Im ersten Bild wurde die Grablegung dargestellt. Bei Licht wollte Edith verschiedene Varianten ausprobieren. Die Schärfe orientierte sich an dem Wort Hortus im Bildmittelpunkt. Gerade als sie den Zeitauslöser betätigte, wurde die Buchseite von der Staffelei gehoben.
    »Moment, ich bin noch nicht fertig!«, rief sie dem Professor zu. Der hielt die Malerei fast achtlos in der Hand, den Arm nach unten gestreckt, als wolle er das Bild verbergen. Sein entsetzter Blick ging an ihr vorbei, bis er an einem Punkt irgendwo hinter ihr haften blieb. Sein Mund war leicht geöffnet. Sie drehte den Kopf. Zwei Mönche standen in der Tür. Ihre weiten Kapuzen verdeckten die Gesichter. Nur die Kinnpartien waren zu erkennen.
    *
    Als er die Badezimmertür hörte, markierte Walde die Seite im Buch und löschte das Licht. Doris hatte sich im Bad ausgezogen und schlüpfte ins Bett. Er schob sich an ihren Rücken und legte einen Arm um sie. Ihr Haar duftete nach Äpfeln.
    »Bist du nervös wegen dem Vortrag?«, flüsterte sie und rückte ihm entgegen.
    Beim Nicken streifte seine Stirn ihren Nacken.
    »Konntest du was mit The Catcher in the Rye anfangen?«
    Beim Kopfschütteln rieb seine Nase ihren Nacken.
    »Hat’s dir die Sprache verschlagen?« Sie kuschelte sich noch näher an ihn. Wieder rieb seine Nase eine Antwort auf ihren Nacken.
    »Du möchtest deine Stimme schonen?«
    Seine Stirn streifte an ihrem Nacken auf und ab.
    »Möchtest du sonst noch etwas schonen?«
    Seine Nase verneinte.
    »Zu was bist du denn noch in der Lage?«
    Mit dem Zeigefinger schrieb er drei Buchstaben und ein Fragezeichen dahinter auf ihren Bauch.
    »Hexe?«
    Mit der flachen Hand wischte er das Wort aus und drehte sich seufzend um. Sie glitt an ihn heran.
    »War noch was?«, murmelte er. Sie rieb ihre Stirn an seinem Nacken auf und ab.
    »Hast du mich wirklich falsch verstanden?«
    Sie kicherte, als ihre Nase die Antwort gab.
    *
    Der Revolver, der aus dem weiten Ärmel der Kutte auf sie gerichtet wurde, war riesig. Ediths Gedanken waren
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