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Codewort Geronimo - der Augenzeugenbericht zum Einsatz der Navy-SEALs gegen Osama bin Laden

Codewort Geronimo - der Augenzeugenbericht zum Einsatz der Navy-SEALs gegen Osama bin Laden

Titel: Codewort Geronimo - der Augenzeugenbericht zum Einsatz der Navy-SEALs gegen Osama bin Laden
Autoren: BÖRSENMEDIEN AG
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bereits Master Chief Petty Officer und OvD (Offizier vom Dienst) der Scharfschützenzelle des SEAL-Teams 6. Für ihren Einsatz trugen sie das Rufzeichen Stingray Zero Two.
    Johnny und Drew hatten schon oft zusammen irgendwo im Hinterhalt gelegen und wussten, dass sie sich auf ihre Tarnung verlassen konnten – und aufeinander ebenfalls. In ihrer Branche hieß so ein Versteck „Spinnenloch“ – durchaus zu Recht. Kurz nach Sonnenaufgang wurde Johnny von einer 15 Zentimeter großen Kamelspinne belästigt, die ihm gemächlich den Arm hochkrabbelte und dann ihren Weg über seine Schulter und seinen Nacken fortsetzte. Doch trotz der lästigen Besucher waren sie gut untergebracht. Sie waren nicht nur perfekt versteckt, sondern hatten feste Deckung in Reichweite, falls etwas schiefging: den Abschnitt einer Lehmziegelmauer und ein Stück Kanal, in dem sie sich verschanzen konnten für den Fall, dass es zu einem Feuergefecht kam.
    Beide unter den Bäumen verborgenen Männer waren Meister ihres Fachs. Sie hatten schon Hunderte von Aufträgen erledigt und dutzendfach versteckt im Hinterhalt gelegen. Aber diese Operation war besonders wichtig – möglicherweise die wichtigste ihrer Laufbahn. Doch während Minute um Minute und Stunde um Stunde verstrich, drängte sich ihnen unwillkürlich der Eindruck auf, dass auch dieser Einsatz nichts anderes war als jeder andere SLJ, mit dem sie jemals beauftragt worden waren. („LJ“ steht für „little job“, und „S“ kann Verschiedenes bedeuten.)
    Sie warteten und schwitzten. Das Gebäude, das sie beobachteten, war ein geheimer Unterschlupf der al-Qaida. Darin sollte sich nach Geheimdienstinformationen Musab al-Zarqawi aufhalten, Osama bin Ladens operativer Kommandeur im Irak. Doch solche Informationen stimmten nicht immer.
    Vor ihnen, wo der Dattelhain endete, erstreckte sich ein staubiger Spielplatz, der an der Ecke an eine ausgedehnte Müllkippe grenzte. Johnny richtete seinen Sucher auf das letzte Haus am Ortsende, ein zweistöckiges Gebäude, das dort lag, wo die Straße Richtung Norden abbog. Den ganzen Tag lang ging niemand hinein und keiner kam heraus. Frauen, Kinder und alte Männer passierten das Haus, doch niemand klopfte an die Tür. Grund genug, es weiter zu beobachten.
    Johnny und Drew hatten ihr Versteck sorgfältig ausgewählt. Das zeigte sich kurz nach Mittag, als ein paar Kinder mit ihrer Mutter in den Palmenhain kamen und Palmwedel sammelten, die sie zur Zubereitung ihres Mittagessens benötigten. Zehn quälende Minuten liefen die Kinder vor dem Hinterhalt auf und ab, sammelten Holz und rissen Palmwedel ab. Endlich schlenderte die Mutter mit ihren Kindern ins Dorf zurück und die SEALs konnten aufatmen.
    Der Nachmittag verging langsam, wie im Nebel – wie ein nicht enden wollender, unliebsamer Tagtraum.
    Johnny und Drew arbeiteten schon so lange zusammen, dass sie im Scherz behaupteten, die Gedanken des anderen lesen zu können. Scharfschützen im Hinterhalt sprechen nicht miteinander, nicht einmal im Flüsterton. Sie verständigen sich mit Handzeichen – in einer einfachen Sprache, die ausreicht, um Entfernung, Richtung, Waffenstatus und die Anwesenheit des Feindes zu kommunizieren. Im Einsatz müssen keine abstrakten Begriffe oder Belanglosigkeiten ausgetauscht werden. Die gesamte Aufmerksamkeit, das gesamte Sein ist auf das Ziel ausgerichtet. Wenn man einen Kopfschuss aus 1.000 Metern Entfernung ausführen soll, ist eine solche Konzentration unabdingbar.
    Um 14 Uhr hielt ein weißer Toyota-Pick-up vor dem Haus, fuhr jedoch wenige Sekunden später wieder ab. Es gab keinen Hinweis auf Zarqawi, und Johnny beschlichen allmählich Zweifel. Vielleicht war da ja gar kein HVI. „HVI“ ist SEAL-Sprache für „high-value individual“ – also eine hochwertige Zielperson. Johnny und Drew waren darauf eingestellt, die ganze Nacht zu warten, und falls nötig, auch die nächste. Wenn sich die Gelegenheit für einen Schuss ergab, würden sie schießen.
    Kurz nach 15 Uhr kam ein Müllwagen angefahren und kippte einen Container voll stinkender, schleimiger Abfälle aus. Der Müll landete so nah, dass Johnny die dumpfen Aufschläge zählen konnte, mit denen er auf dem Boden auftraf. Erst kam der Gestank, dann die Fliegen. Der Nachmittag zog sich endlos in die Länge, sorgte für kleine Unannehmlichkeiten und nagende Enttäuschung.
    Punkt 16 Uhr setzte Drew über den Burst-Sender eine Textnachricht ab: „No joy“ – kein Sichtkontakt mit Ziel. Sie hatten das Haus
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