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Cleverly, Barbara - Die List des Tigers

Cleverly, Barbara - Die List des Tigers

Titel: Cleverly, Barbara - Die List des Tigers
Autoren: Unbekannter Autor
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Maharadschas läuft es doch sicherlich zuwider, wenn man ihnen andauernd über die Schulter schaut?«
    »Ja doch, es funktioniert. Weitgehend. Diese Jungs bringen es tatsächlich fertig, einen cleveren Kurs zu fahren. Einige von ihnen haben viel Gutes bewirkt und für genau jene gesellschaftlichen Verbesserungen gesorgt, die jemand wie Sie gutheißen würde. Mehr als ein Herrscher ließ sich von ihnen überzeugen, sich und sein Reich ins zwanzigste Jahrhundert zu hieven und Straßen, Krankenhäuser und Schulen zu bauen. Einige der Herrscher sind nur allzu erfreut, wenn sie die Alltagsgeschäfte ihres Reiches in ein paar fähige Hände legen können.« Edgar hielt kurz inne. »Natürlich gibt es auch Herrscher, die in ihrem Verhalten unverbesserlich mittelalterlich sind.«
    »Und wie begegnet ein Vertreter der britischen Regierung mittelalterlichem Verhalten?«, erkundigte sich Joe fasziniert.
    »Entschlossen«, erklärte Edgar mit großem Behagen. »Haben Sie je vom Maharadscha von Patiala gehört?«
    »Von ihm gehört? Ich habe ihn gesehen«, rief Joe. »Letzten Dezember in Kalkutta. Er ritt in der Parade, die den Prince of Wales willkommen hieß, als dieser das Victoria Monument einweihte. Wer ihn einmal gesehen hat, vergisst ihn nie!« Joe erinnerte sich an den Eindruck, den der Maharadscha auf die Menge gemacht hatte. Hoch zu Ross in einer blutroten Tunika, weißer Hose, schwarzen, schenkelhohen Lederstiefeln, das Ganze gekrönt von einem narzissengelben Turban, den ein Smaragd zusammenhielt. Über einen Meter neunzig groß und gebaut wie ein Bär, mit einem üppigen, schwarzen Schnauzbart, dessen Enden er in seinen Turban gesteckt hatte. »Eine beeindruckende Gestalt«, fügte Joe hinzu.
    Edgar lächelte. »Da stimme ich Ihnen zu, aber wussten Sie, dass dieser Freund des Prince of Wales, dieser loyale Fürsprecher der Pax Britannica, dieses
    Mitglied jedes Polo-Clubs von Hurlingham bis Isfahan, wegen seines schlechten Verhaltens, das wirklich nur als mittelalterlich bezeichnet werden kann, in arge Schwierigkeiten geraten ist?«
    »Das wusste ich nicht«, sagte Joe. »Was hat er getan? Die Fingerschale ausgetrunken?«
    »Man fand heraus«, verriet Edgar schadenfroh, »dass der alte Knabe Jungfrauen entjungferte. Und das nicht nur hin und wieder, sondern in gewaltigem Ausmaß. Eine pro Tag, wer weiß seit wie vielen Jahren! Obwohl er Hunderte von Konkubinen in seinem Harem hatte!«
    »Wie ermüdend«, meinte Joe. »Kommen Sie, Edgar, Sie glauben doch wohl nicht all diese Ammenmärchen?«
    »Sein Volk glaubt sehr wohl daran! Es ist sogar stolz auf die Virilität seines Herrschers!« Edgar grinste süffisant und fuhr in vertraulichem Tonfall fort: »Alljährlich findet in Patiala eine Zeremonie statt. Die Leute reisen meilenweit an, um ihr beizuwohnen. Bin selbst einmal hingefahren und sah es mit eigenen Augen, darum weiß ich, dass es sich nicht bloß um eine Erfindung handelt! Der Maharadscha zieht in einer Parade durch die Straßen seiner Stadt - nackt, bis auf eine hüftlange Weste mit tausendundeinem Diamanten. Dabei nimmt er die Jubelrufe seiner Untertanen mit etwas entgegen, was ich nur als priapischen Salut bezeichnen kann!«
    »Mein Gott, scheint mir doch ein wenig übertrieben!«
    »In Patiala begnügt man sich nun mal nicht mit halbmast!« Edgar lachte. »Aber für manche Geschmäcker war es wohl doch zu viel, und irgendjemand - man geht davon aus, dass es der dortige Vertreter der britischen Regierung war - unterhielt sich daraufhin in einer ruhigen Minute mit ihm und bat ihn, so etwas nicht wieder zu tun.«
    »Eine Unterhaltung in einer ruhigen Minute, Edgar? Reichte das für die gewünschte Verhaltensveränderung aus?«
    »Kommt immer auf die Unterhaltung an«, erwiderte Edgar. »Wenn zwischen all den erhobenen Zeigefingern, den leichten Hieben auf das Handgelenk und den sanften Drohungen auch das Wort >Amtsenthebung< fällt, dann lässt sich das schon bewerkstelligen.« Er grinste. »Oder vielleicht - oh Schrecken aller Schrecken! - drohte Seiner Majestät Stellvertreter, den Waffensalut von neunzehn auf elf Schuss zu minimieren. Das hätte ganz entschieden eine Luft ablassende Wirkung! Welche Argumente er auch einsetzte, der Vertreter der britischen Regierung erreichte sein Ziel, und das hatte darin bestanden, die englischen Memsahibs zu beruhigen, die Patiala infiltriert hatten, wie sie es in ganz Indien getan haben - zusammen mit ihrem düsteren Gepäck aus Tugendhaftigkeit, Religion und sozialer
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