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Claraboia oder Wo das Licht einfaellt

Claraboia oder Wo das Licht einfaellt

Titel: Claraboia oder Wo das Licht einfaellt
Autoren: José Saramago
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Zigarette an. Zog sich aus und legte sich hin. Im Bett gab es nur ein Kissen – als wäre er Witwer oder Junggeselle oder geschieden. Und er dachte: »Was mache ich morgen? Ich muss arbeiten gehen. Am Vormittag mache ich eine Runde. Ich brauche ein paar gute Aufträge. Und am Nachmittag? Ins Kino? Ins Kino gehen ist Zeitvergeudung, es gibt keinen Film, der sich lohnt. Wenn nicht ins Kino, was dann? Einen Ausflug machen natürlich. Irgendwohin. Aber wohin? Lissabon ist eine Stadt, in der man nur leben kann, wenn man viel Geld hat. Wer kein Geld hat, muss arbeiten, um die Zeit auszufüllen und Geld zu verdienen, damit er zu essen hat. Ich habe nicht viel Geld … Und am Abend? Was mache ich am Abend? Wieder ins Kino … Na wunderbar! Will ich etwa meine Tage in einem Kino verbringen, als gäbe es nichts anderes zu sehen und zu tun?! Und was ist mit Geld? Nur weil ich allein bin, kann ich ja nicht aufhören zu essen und die Miete nicht mehr bezahlen. Ich bin frei, keine Frage, aber was hilft mir meine Freiheit, wenn ich nicht die Mittel habe, sie zu nutzen? Wenn ich weiter so denke, endet es noch damit, dass ich sie mir zurückwünsche …«
    Entnervt setzte er sich im Bett auf: »Ich habe mich so auf diesen Tag gefreut … Habe ihn voll und ganz genossen, bis ich nach Hause gekommen bin, und kaum bin ich hier, tauchen diese blöden Gedanken auf. Sollte ich mich so verändert haben, dass ich wie die Frauen bin, die von ihren Männern geprügelt werden, es aber trotzdem nicht ohne sie aushalten? Das wäre idiotisch. Absurd. Es wäre komisch, sich erst so viele Jahre lang die Freiheit zu wünschen und schon nach dem ersten Tag am liebsten hinter der herlaufen zu wollen, die sie einem verwehrt hat.« Er nahm einen tiefen Zug und murmelte:
    »Es ist die Gewohnheit, klar. Rauchen schadet auch der Gesundheit, trotzdem gebe ich es nicht auf. Allerdings könnte ich es aufgeben, wenn der Arzt zu mir sagte: ›Rauchen ist tödlich.‹ Der Mensch ist eindeutig ein Gewohnheitstier. Diese Unentschlossenheit ist eine Folge der Gewohnheit. Ich habe mich noch nicht an die Freiheit gewöhnt …«
    Durch diese Schlussfolgerung beruhigt, legte er sich wieder hin. Er warf die Kippe zum Aschenbecher, traf ihn aber nicht. Die Kippe rollte über die Marmorplatte des Nachttischs und fiel auf den Fußboden. Um sich selbst zu beweisen, dass er frei war, stand er nicht auf, um sie aufzuheben. Die Zigarette glomm weiter und verbrannte das Holz auf dem Fußboden. Der Rauch stieg sacht auf, die Kippe verschwand unter der Asche. Emílio zog sich die Decke bis zum Hals hoch. Löschte das Licht. In der Wohnung wurde es noch stiller. »Es geht um Gewöhnung … Gewöhnung an die Freiheit … Ein Halbverhungerter stirbt, wenn man ihm zu viel auf einmal zu essen gibt. Er muss sich langsam daran gewöhnen … sein Magen muss sich daran gewöhnen … er muss …« Er schlief ein.
    Es war schon später Morgen, als er aufwachte. Er rieb sich ausgiebig die Augen und merkte, dass er hungrig war. Er wollte gerade den Mund aufmachen und rufen, da fiel ihm ein, dass seine Frau weggefahren und er allein war. Mit einem Satz sprang er aus dem Bett. Barfuß lief er durch die ganze Wohnung. Niemand da. Er war allein, wie er es sich gewünscht hatte. Und anders als vorm Einschlafen kam ihm gar nicht der Gedanke, dass er nicht wisse, wie er seine Freiheit genießen solle. Er dachte nur, dass er frei war. Und lachte. Lachte laut. Er wusch sich, rasierte sich, zog sich an, griff nach dem Musterkoffer und verließ das Haus, und all das, als wäre es ein Traum.
    Der Morgen war klar, der Himmel blank, die Sonne warm. Die Häuser waren hässlich, und hässlich waren die Menschen, die an ihm vorübergingen. Die Häuser waren fest im Erdboden verankert, und die Menschen sahen wie Verurteilte aus. Emílio lachte wieder. Er war frei. Ob mit oder ohne Geld, er war frei. Auch wenn er nichts anderes tun konnte, als schon gegangene Wege zu gehen und schon Gesehenes zu sehen, war er frei.
    Er schob den Hut in den Nacken, als störte ihn der Schatten. Und ging die Straße hinunter, in den Augen einen neuen Glanz und im Herzen einen singenden Vogel.

34
    E ndlich war der Tag gekommen, an dem sie das Geheimnis würde aufdecken können. Mit Engelszungen überredete Amélia ihre Schwester, Isaura zum Hemdengeschäft zu begleiten. Der Tag sei so schön, die frische Luft und die Sonne werde ihr guttun, es sei ein Verbrechen, in den vier Wänden zu hocken, während draußen der
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