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Claraboia oder Wo das Licht einfaellt

Claraboia oder Wo das Licht einfaellt

Titel: Claraboia oder Wo das Licht einfaellt
Autoren: José Saramago
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ersten Mal, als hätte er nach langjähriger Blindheit sein Augenlicht zurückgewonnen. Ein junger Mann, der die Passanten porträtieren wollte, sprach ihn an, und Emílio lehnte nicht ab. Er stellte sich in Positur, und auf ein Zeichen des Fotografen ging er entschlossen und mit einem Lächeln auf den Lippen vorwärts.
    Zum Abendessen betrat er das teure Restaurant. Das Essen war gut und der Wein auch. Nach all diesen außergewöhnlichen Ausgaben blieb ihm nicht mehr viel Geld, doch er bereute es nicht. Er bereute gar nichts. Er hatte nichts Böses getan, was er hätte bereuen müssen. Er war frei, nicht so frei wie ein Vogel, denn Vögel haben keinerlei Verpflichtungen, aber doch so frei, wie er es hatte erwarten können. Als er aus dem teuren Restaurant trat, flimmerten alle Leuchtreklamen am Rossio. Er bestaunte sie eine nach der anderen, als wären sie Verkündigungssterne. Da war die Nähmaschine, die beiden Uhren, das Glas mit Portwein, das sich leerte, ohne dass es jemand austrank, die Kutsche, die sich nicht vom Fleck rührte, mit zwei Pferden, das eine blau und das andere weiß. Und dann waren da noch auf ebener Erde die beiden Brunnen mit Frauen nebst Fischschwanz und Füllhorn, so geizig, dass sie nur Wasser spien. Und die Statue des Kaisers Maximilian von Mexiko und die Säulen des Teatro Nacional und die Autos, die über den Asphalt rollten, und die Rufe der Zeitungsverkäufer und die reine Luft der Freiheit.
    Leicht erschöpft kam er spätabends nach Hause. Die wenigen Straßenlaternen warfen spärliches Licht. Sämtliche Fenster waren geschlossen und dunkel. Auch seine.
    Als er die Tür aufschloss, empfing ihn befremdende Stille. Er ging von Raum zu Raum, ließ die Lampen brennen und die Türen offen, wie ein Kind. Angst hatte er nicht, natürlich nicht, aber die starren Gegenstände, die Stille ohne die vertrauten Stimmen, eine undefinierbare Erwartungshaltung bereiteten ihm Unbehagen. Er setzte sich aufs Bett, in dem er nun drei Monate lang allein liegen würde, und zündete sich eine Zigarette an. Er würde in den Monaten Mai, Juni, Juli und vielleicht auch einen Teil des Augusts allein sein. Die beste Jahreszeit, um seine Freiheit zu genießen. Sonne, Wärme, frische Luft. Jeden Sonntag würde er an den Strand gehen, sich wie eine aus dem Winterschlaf erwachte Eidechse in die Sonne legen. Er würde in den blauen, wolkenlosen Himmel blicken. Lange Ausflüge in die Natur machen. Die Bäume von Sintra sehen, das Castelo dos Mouros, die Strände in der Nähe. Und all das allein. All das und vieles andere mehr würde er tun, was er sich aber jetzt nicht ausmalen konnte, weil er verlernt hatte, sich etwas auszumalen. Er war wie ein Vogel, der vor der offenen Tür seines Käfigs zögert, bevor er zum Flug in die Freiheit ansetzt.
    Die Stille in der Wohnung legte sich wie eine geschlossene Hand um ihn. Wollte er seine Pläne, gleich welchen, verwirklichen, brauchte er Geld. Er musste viel arbeiten, und das würde ihm Zeit rauben. Aber er würde mit mehr Freude arbeiten, und wenn er sich irgendwo einschränken musste, dann beim Essen. Er bereute das teure Abendessen und die ausländischen Zigaretten. Es war der erste Tag, da war es nur natürlich, dass er es übertrieben hatte. Andere an seiner Stelle hätten noch mehr übertrieben.
    Er stand auf und ging die Lampen ausschalten. Dann setzte er sich wieder. Er war ratlos, als hätte er das große Los gezogen und wüsste nicht, was er mit dem Geld anfangen sollte. Er stellte fest, dass er die Freiheit, die er so sehr herbeigesehnt hatte, nicht voll genießen konnte. Die kurz zuvor geschmiedeten Pläne kamen ihm nun schäbig und nichtig vor. Letztlich wollte er allein unternehmen, was er schon mit der Familie unternommen hatte. Dieselben Orte besuchen, sich unter dieselben Bäume setzen, in denselben Sand legen. Das konnte es nicht sein. Er musste etwas Bedeutenderes tun, etwas, woran er sich nach der Rückkehr von Frau und Kind würde erinnern können. Aber was konnte das sein? Orgien? Wilde Partys? Abenteuer mit Frauen? All das hatte er als Junggeselle erlebt, er verspürte keine Lust, wieder damit anzufangen. Er wusste, dass solche Exzesse immer einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen. Damit würde er seine Freiheit besudeln. Aber abgesehen von Ausflügen und unzüchtigen Abenteuern fiel ihm nichts ein, womit er die drei Monate, die vor ihm lagen, verbringen konnte. Er wollte etwas Besseres, Würdigeres, wusste aber nicht, was.
    Er zündete eine neue
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