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Circus

Circus

Titel: Circus
Autoren: Alistair MacLean
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Pilgrim legte in bester Sherlock-Holmes-Manier die Fingerspitzen aneinander. »Gut für Bruno. Was, zum Teufel, ist ein Mentalist?«
    »Jemand, der Kunststücke mit seinem Verstand vorführt.«
    Pilgrim kämpfte um seine Beherrschung. »Muß man als Luftakrobat ein Intellektueller sein?«
    »Ich weiß noch nicht einmal, ob man dazu intelligent sein muß. Das ist auch nicht der springende Punkt. Fast jeder Circuskünstler kann außer seiner speziellen Nummer noch ein oder zwei Dinge, die er nebenher tut. Manche betätigen sich schlicht als Hilfskräfte – es sind immer wieder Berge von Ausrüstungsgegenständen herumzuschleppen. Andere arbeiten als Unterhalter, als Entertainer. Bruno ist einer davon. Zum Circus gehört auch eine Art Jahrmarkt, der dazu dient, die ankommenden Circusbesucher von ihrem überflüssigen Kleingeld zu befreien. Bruno tritt in einem winzigen Theater auf – einer zusammenklappbaren Holzhütte. Er liest Gedanken, sagt Ihnen den Vornamen Ihres Urgroßvaters, die Nummern der Dollarnoten in Ihrer Tasche und was auf einem Blatt Papier gemalt oder geschrieben ist, das in einem zugeklebten Briefumschlag steckt. Dinge dieser Art eben.«
    »Das ist doch nichts Neues. Diesen Hokuspokus zeigt jeder geübte Zauberkünstler auf der Bühne.«
    »Kann schon sein. Aber es heißt, daß er Dinge tun kann, für die es keine rationale Erklärung gibt und die seine Konkurrenten vergeblich nachzumachen versucht haben. Aber was uns am meisten interessiert, ist sein fotografisches Gedächtnis. Wenn man ihm eine Doppelseite vom Time-Magazin gibt, schaut er sie sich ein paar Sekunden an, gibt sie zurück und fordert einen auf, ihn nach einem beliebigen Wort von einer der beiden Seiten zu fragen. Und wenn man ihm sagt, man wüßte gern, welches Wort das dritte in der dritten Zeile der dritten Spalte auf der rechten Seite ist, und er sagt zum Beispiel ›Kongreß‹, dann können Sie sicher sein, daß dort tatsächlich ›Kongreß‹ steht. Und er macht dieses Kunststück in jeder beliebigen Sprache – er muß sie gar nicht verstehen.«
    »Das muß ich sehen. Übrigens, wenn er ein solches Genie auf diesem Gebiet ist, weshalb konzentriert er sich dann nicht ausschließlich auf diese Darbietungen? Ich bin sicher, daß er damit bedeutend mehr Geld verdienen könnte als mit seinen halsbrecherischen Purzelbäumen zwischen Himmel und Erde.«
    »Vielleicht. Ich weiß es nicht. Laut Smithers ist seine Gage nicht gerade schäbig. Er ist der größte Star im größten Circus der Welt. Aber das ist sicherlich nicht der entscheidende Grund für ihn. Er ist der Chef eines Trios von Luftakrobaten, das sich ›Die blinden Adler‹ nennt, und ohne ihn wären die beiden anderen aufgeschmissen. Ich nehme nicht an, daß sie ebenfalls Mentalisten sind.«
    »Also, ich weiß nicht recht. Wir können uns in unserem Beruf keine übertriebene Sentimentalität und Loyalität leisten.«
    »Sentimentalität – nein. Loyalität – uns gegenüber – ja. Anderen gegenüber auch, ja – wenn es sich dabei um die beiden jüngeren Brüder handelt.«
    »Also ein Familientrio?«
    »Ich dachte, Sie wüßten es.«
    Pilgrim schüttelte den Kopf. »Und sie nennen sich ›Die blinden Adler‹?«
    »Ja. Und laut Smithers ist das eine durchaus zutreffende Bezeichnung. Sie arbeiten zwar nicht gerade in tiefhängenden Wolken, aber sie sind auch nicht direkt erdgebunden. Beim Hochschwingen des Trapezes sind sie vierundzwanzig Meter über dem Boden. Und ob man aus einer Höhe von vierundzwanzig Metern oder aus einer Höhe von zweihundertvierzig Metern herunterstürzt – die Chancen, sich den Hals zu brechen, ganz zu schweigen von den ungefähr zweihundert Knochen, die der Mensch hat, sind ungefähr gleich. Vor allem, wenn einem die Augen verbunden sind und man nicht weiß, wo oben und unten ist.«
    »Sie wollen doch nicht etwa behaupten …«
    »Wenn sie von einem Trapez zum anderen wechseln, tragen sie schwarze, glänzende Baumwollhandschuhe. Die Leute denken, daß in diesen Handschuhen möglicherweise raffinierte elektronische Vorrichtungen versteckt sind, wie zum Beispiel negative und positive Pole. Aber das ist ein Irrtum. Sie tragen diese nur, um nicht so leicht abzurutschen. Sie haben nicht die geringsten Anhaltspunkte. Die Kapuzen, die sie tragen, sind vollkommen undurchsichtig, aber sie greifen nie daneben – sonst wäre den ›Blinden Adlern‹ ja auch nur ein kurzer Ruhm beschieden. Ich nehme an, das Ganze steht und fällt mit Brunos
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