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Ciao Tao

Ciao Tao

Titel: Ciao Tao
Autoren: Hen Hermanns
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war die erste Etage eines ehemaligen Schneidereibetriebes. Darunter hatte sich eine alternative Theatergruppe eingemietet, und über Sigi flennten Psychogruppen in schallgedämpften Räumen ganze Kleenex-Berge voll. Das Übliche eben. Sigis Loft war satte 250 Quadratmeter groß und so stilvoll mit Niedervolt-Nippes, Designer-Möbeln und High-Tech ausgestattet, daß es einem Bang und Olufsen werden konnte. Es waren schon viele Leute da, die übliche Mischpoke aus Art-Directors, Creative-Directors, Fotografen, Models und Möchtegerns. Ich besorgte mir ein Glas kalten Orvieto, einen Teller mit Langustenragout und Vitello tonnato. Die Küche war voll mit Alessi-Krempel und hatte eine Dunstabzugshaube, mit der man ganz Köln entfetten konnte. Ich fand einen leerstehenden Corbusier-Sessel und ließ mich mit einem leisen Schmerz in der Wirbelsäule in das völlig unbrauchbare Dreitausend-Mark-Möbel sinken.
    »Schmeckt’s?« fragte eine etwas rauchige weibliche Stimme. Ich sah von meinem Teller auf und hatte eine Erscheinung. Im Barcelona-Sesselchen mir gegenüber saß eine veritable Femme fatale. Dolce madonna bionda. Pavarotti schmetterte eine Arie in meinem Hinterkopf, sang irgendwas von »io son felice« und »amor è palpito dell‘universo intero« oder so. Und dann sagte noch weiter hinten Oscar Wilde: »Wenn die Götter uns bestrafen wollen, erhören sie unsere Bitten.« Sprüchemacher.
    Um es kurz zu machen: Sie hätte mühelos den ersten Preis im Marilyn-Monroe-Look-Alike-Contest gewonnen. Bißchen dünner vielleicht. Aber man kann ja nicht alles haben. Und eine Hornbrille trug sie. Ich war völlig von Sinnen.
    »Wen haben wir denn da«, äußerte ich mich so platt und dämlich wie schon lange nicht mehr.
    »Ich bin Alwine«, sagte Alwine.
    »Ich bin zur Zeit etwas nervös, Alwine«, sagte ich mit einer entschuldigenden Geste, die mein Orvietoglas fast vom Beistelltischchen fegte. »Nimm es nicht persönlich. Vorgestern hat nämlich jemand auf mich geschossen, und außerdem sind im Vitello tonnato zu viele Sardellen.«
    »Schießt man öfter auf dich? Sigi hat mir eben davon erzählt. Immer noch keine Ahnung, wer es war?«
    »Keine Ahnung. Bisher hat man sich nur immer in mich verschossen.«
    »Sehr witzig. Ihr Werbetypen seid wirklich immer sehr, sehr witzig. Hast du denn keine Angst? Ich würde mich überhaupt nicht mehr auf die Straße trauen.«
    »Was soll ich machen? Klar hab ich Schiß. Angst gehört zum Geschäft.«
    »Was ist das denn schon wieder für ein Spruch?«
    »Na ja, wir in der Werbung haben doch ständig Angst. Angst davor, wichtige Präsentationen zu verlieren. Angst, daß wir irgendwann keine guten Ideen mehr haben.«
    »Und was machst du dagegen?«
    »Gut essen gehen, viel verreisen, dummes Zeug kaufen.«
    »Und was ist der Sinn des Ganzen?«
    »Ach du lieber Gott, der Sinn. Meine letzte Sinnkrise hatte ich vor vierhundert Jahren. Heute glaube ich mehr an die Sinnlichkeit und doppelseitige vierfarbige Anzeigen im >Stern<.«
    »Aha, der große Zyniker. Aber an irgendwas glaubst du doch, oder?«
    »Klar. So in die taoistische Richtung, weißt du, das Prinzip der Polarität ohne Gegensätze, ä-häm, Yin und Yang, hart und weich, Laurel und Hardy und so. Und du, was glaubst du, Alwine?«
    »Ich glaube, du bist ein Arsch.«
    Sprach’s, stand auf und ging. Recht hatte sie. Ich mit meiner Zyniker-Show. Dabei war sie bisher die einzige, die irgendwie menschlich reagiert hatte, die einzige, die wirklich wissen wollte, wie man sich denn so fühlt, wenn jemand auf einen losballert. Die Damen und Herren Kollegen verhielten sich eigentlich ein bißchen branchenfremd. Ich meine, so ein Mordanschlag ist doch irgendwie nicht unoriginell und bestimmt aufregender als die Cannes-Rolle. Aber es schien ihnen etwas unangenehm zu sein. Oder es war ihre Art, absolute Obercoolness zu zeigen.
    Ich quälte mich aus dem Sessel, besorgte mir ein neues Weinglas und führte es ein bißchen spazieren.
    »We must be in heaven«, rief mir der Fotograf Klaus Geiger zu.
    Da war ich völlig anderer Meinung.
    »There is always a little bit of heaven in the desaster-area.«
    Das mochte schon eher zutreffen. Und ich kannte diesen Spruch auch bereits zur Genüge. Klaus Geiger war dafür bekannt, sich nach dem vierten Glas gnadenlos in die frühen siebziger Jahre abzusetzen und die Bühnendurchsagen von Woodstock zu rezitieren. Er hatte die Platte so oft gehört, daß er mittlerweile davon überzeugt war, selbst dabeigewesen zu
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