Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chroniken der Weltensucher 03 - Der gläserne Fluch

Chroniken der Weltensucher 03 - Der gläserne Fluch

Titel: Chroniken der Weltensucher 03 - Der gläserne Fluch
Autoren: Thomas Thiemeyer
Vom Netzwerk:
darunter. Was ist denn mit deinem Brief? Du hast ihn noch gar nicht geöffnet.«
    »Ja richtig.« Charlotte blickte auf das Kuvert in ihrer Hand. In der Aufregung hatte sie ganz vergessen nachzuschauen, von wem er stammte. Auf der Rückseite fand sie einen Absender. Maria Riethmüller, Kurhotel Heiligendamm.
    »Er ist von Mutter«, sagte sie.
    Ihre gute Laune war mit einem Mal wie weggeblasen.

 
3
     
     
    Sir Jabez Wilson war bereits zu Lebzeiten eine Legende. Von Königin Victoria für seine Verdienste um die Erforschung des Nachthimmels geadelt und von seinen Kollegen ebenso geschätzt wie gefürchtet, galt er als Großbritanniens bedeutendster Sammler extraterrestrischer Funde. Er war das, was man in Fachkreisen als Meteoritenjäger bezeichnete, und sein Hunger nach seltenen Steinen war grenzenlos. So groß, dass er gelegentlich seine Manieren vergaß.
    »Was hat er gesagt? Wiederhol das noch mal.«
    Sein Assistent, Patrick O’Neill, erbleichte. »Monsieur Lacombe von der astronomischen Fakultät Paris lässt ausrichten, er werde Ihnen auf keinen Fall eine Abschrift des Dokuments zukommen lassen. Er sagte, da könne er Ihnen ja gleich seine ganze Sammlung zum Geschenk machen. Er hoffe jedoch inständig, Sie mögen seinem Gastvortrag am Observatorium diesen Freitag beiwohnen. Er werde bei dieser Gelegenheit auch auf das Dokument zu sprechen kommen.«
    »Dieser unverschämte Patron!« Wilson sprang auf. Seine Kehle war vor Wut wie zugeschnürt. »Er glaubt wohl, er kann mich auf den Arm nehmen. Ich bin doch keiner seiner Lakaien, die er herumscheuchen kann, wie er will. Er ist hier auf meinem Grund und Boden. Na warte, dem wird das Lachen schon noch vergehen.«
    O’Neill wich zurück. Wilson war ein Stier von einem Mann. Kompakt, gedrungen, mit breiten Wangenknochen, niedriger Stirn und einem grauen Haarschopf, der zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden war. Ein Mann, der schon durch seine reine physische Präsenz jeden einschüchtern konnte. Sein auffälligstes Merkmal war, dass er nur ein Auge besaß. Das linke hatte er bei einer Auseinandersetzung mit Eingeborenen in Patagonien verloren, als diese ihm den Zugang zu einer Fundstelle verweigerten und ihn und seine Männer stattdessen mit Steinschleudern angegriffen hatten. Aus Rache hatte er ihr Dorf dem Erdboden gleichgemacht.
    Um sein fehlendes Auge zu ersetzen, hatte Wilson einen Meteoriten zurechtschleifen lassen und diesen in den Hohlraum in seinem Schädel eingesetzt. Die silbrig glänzende Kugel schien in alle Richtungen gleichzeitig blicken zu können.
    Wilsons geheime Vorliebe galt dem Iridium, einer äußerst seltenen Spielart des Platin, wie man sie des Öfteren in Meteoriten fand. Seine Härte machte es zu einer idealen Komponente besonders widerstandfähiger Legierungen. Legierungen, wie sie in Präzisionsmessgeräten wie Uhren oder Sextanten Verwendung fanden. Kein Wunder, dass es als ungemein wertvoller Rohstoff galt, wertvoller noch als Diamanten. Allein die Kugel in Wilsons Schädel besaß den Wert eines kleinen Fürstentums.
    »Sagen Sie alle Termine für heute Mittag ab, ich bin bei Lacombe.«
    »Aber Sir, Ihr Essen mit dem Innenminister …«
    »Absagen, habe ich gesagt.«
    Wilson schnappte seinen Mantel, band seinen Waffengurt um und stürmte aus dem Zimmer. Was glaubte dieser unverschämte Franzose eigentlich, mit wem er es zu tun hatte? Ihn, Jabez Wilson, abzuwimmeln wie einen lästigen Vertreter? Eher würde die Hölle zufrieren, als dass so etwas geschah.
    Mit eiligen Schritten stürmte er die Treppen hinunter. Seine Arbeitsräume lagen im obersten Stock der Königlichen Akademie in Burlington Gardens. Eines der prächtigsten Gebäude von ganz London mit Blick auf die herrlichen Anlagen des Green Parks.
    Auf dem Weg nach unten begegnete er etlichen Kollegen und Angestellten, die ihm Respekt zollten.
    »Guten Morgen, Sir Wilson.«
    »Frohe Weihnachten, Euer Lordschaft!«
    »Werden Sie uns heute Abend noch im Athenäum Club beehren?«
    Er ignorierte die Zurufe und lief weiter. Seine blank polierten Stiefel klackerten über die Marmorstufen. Er verließ das Gebäude, eilte im strömenden Regen über den Vorplatz und bestieg eine der Kutschen, die draußen warteten.
    »Hyde Park Corner 48, aber schnell!«, rief er dem Fahrer zu, dann lehnte er sich zurück.
     

     
    Oskar war gerade auf dem Weg in sein Zimmer, als ihm Charlotte über den Weg lief. Sie war vollgepackt mit Mappen, Rollen und Bündeln voller Briefe und wirkte ziemlich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher