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Chroniken der Weltensucher 03 - Der gläserne Fluch

Chroniken der Weltensucher 03 - Der gläserne Fluch

Titel: Chroniken der Weltensucher 03 - Der gläserne Fluch
Autoren: Thomas Thiemeyer
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erwiderte Humboldt. »Zumindest der Vormittag ist ein Werktag wie jeder andere. Ihr seid nicht die Einzigen, die heute arbeiten müssen. An den Feiertagen erlasse ich euch den Unterricht, aber heute wird bis Punkt zwölf gearbeitet. Und damit Ende der Diskussion.«
    Aber Oskar ließ nicht locker. »Können wir denn nicht wenigstens etwas Spannendes machen? Etwas aus dem Bereich Geografie, Biologie oder Chemie? Selbst an der Universität gibt es spezielle Weihnachtsvorlesungen. Hab ich jedenfalls gehört«, fügte er kleinlaut hinzu.
    »Was passt dir denn nicht an Latein?«
    Oskar tauchte den Lappen in den Eimer und wrang ihn aus. »Es ist so langweilig. Eine tote Sprache, die kein Mensch mehr spricht.«
    »Wenn du dich da mal nicht irrst«, erwiderte der Forscher. »Latein ist die Sprache der Naturwissenschaften. Ohne vernünftige Sprachkenntnisse wirst du nie in der Lage sein, die Nomenklatur der Arten korrekt zu lesen oder neue Spezies einzuordnen. Abgesehen davon lassen sich mit Latein alle anderen Sprachen, insbesondere die romanischen, viel leichter erlernen. So, und jetzt weiter im Text.« Er wollte sich wieder der Tafel zuwenden, doch Oskar hatte noch nicht aufgegeben.
    »Ich frage mich, wozu wir dann das Linguaphon haben«, sagte er. »Wenn wir die Sprachen dann doch lernen müssen.«
    »Wie soll ich das verstehen?«
    »Ich rede von unserem Übersetzungsapparat. Warum sollen wir Sprachen erlernen, wenn wir ein solch fantastisches Gerät besitzen? Es kann jede Sprache übersetzen, sogar solche, die uns bisher noch völlig unbekannt sind. Selbst Wilma hat mit seiner Hilfe das Sprechen erlernt. Warum nicht das Linguaphon benutzen und die gesparte Zeit für andere Dinge einsetzen?«
    Humboldt stemmte die Hände in die Hüften. »Das Erlernen einer Sprache kann niemals durch ein technisches Gerät ersetzt werden. Es ist in erster Linie eine Schulung für logisches Denken und strukturiertes Handeln«, erwiderte Humboldt. »Es hilft euch, Klarheit in eure Köpfe zu bringen. Abgesehen davon – was, wenn der Strom ausgeht oder eine Panne eintritt? Technik ist anfällig, besonders in solch entlegenen Gegenden, wie wir sie bereisen. Ihr wollt doch nicht etwa in irgendwelchen Kochtöpfen enden, nur weil ihr versäumt habt, euer Sprachzentrum zu trainieren?« Er reichte Oskar die Hand und zog ihn auf die Füße. »Komm«, sagte er. »Setz dich, damit wir fortfahren können.«
    Oskar kam sich vor wie ein Idiot. Wie hatte er nur annehmen können, einen Schlagabtausch mit seinem Vater zu gewinnen? Humboldt war ein Mann, der gewohnt war zu bekommen, was er wollte, ein geborener Sieger. Es lag in seiner Natur zu gewinnen. Genau wie in der seines Vaters, des berühmten Naturforschers Alexander von Humboldt. Vorausgesetzt, man nahm die Behauptungen des Forschers über seine Herkunft für bare Münze.
    Oskar räumte Eimer und Lappen weg, ging zum Tisch zurück und rutschte wieder auf seinen Platz. Er hatte gerade entschieden, diesen Heiligen Abend zu einem der schlechtesten seines Lebens zu erklären, als ein heftiges Pochen an der Haustür zu hören war.
    Humboldt zögerte, blickte hinaus, dann verließ er den Raum. »Hat man denn nicht für eine Minute Ruhe in diesem Haus?«

 
2
     
     
    Charlotte schaute aus dem Küchenfenster und entdeckte einen Reiter der Preußischen Post. Blauer Uniformrock mit rotem Besatz, eine eng anliegende Hose mit Seitenstreifen, auf dem Kopf eine Mütze mit rotem Rand. Sein Pferd keuchte und schäumte, dass man glauben konnte, er wäre den ganzen Weg bis raus zum Plötzensee in scharfem Galopp geritten.
    Charlotte schob den Vorhang zur Seite. »Sieht nach einer Eilzustellung aus.«
    Eliza, die gerade versuchte, Charlottes Kleid mit Gallseife von den Tintenspritzern zu befreien, hob den Kopf.
    »Wie kommst du darauf?«
    »Schau dir den Brief an. Solche Umschläge werden nur für dringende Angelegenheiten verwendet.«
    Das Kuvert war länglich, von hellgelber Farbe und mit rotem Siegellack verschlossen.
    »Bin gleich wieder da.« Charlotte eilte zur Tür, wo Humboldt den Mann bereits begrüßte. Der Postbote hatte seine Mütze abgenommen und verbeugte sich. »Herr Donhauser?«
    »Ganz recht.«
    Charlotte bemerkte, wie ihr Onkel bei der Erwähnung seines bürgerlichen Namens die Lippen zusammenpresste. Sie wusste von den Hinweisen, dass er tatsächlich von Alexander von Humboldt abstammte, doch bis jetzt war der Anspruch keinesfalls bewiesen. Ein Thema, über das man besser schwieg.
    »Ich habe eine
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