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Chroniken der Weltensucher 03 - Der gläserne Fluch

Chroniken der Weltensucher 03 - Der gläserne Fluch

Titel: Chroniken der Weltensucher 03 - Der gläserne Fluch
Autoren: Thomas Thiemeyer
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Anwesenheit des Kaisers über Nordafrika redet, dann wird es vermutlich um die Möglichkeit neuer Kolonien gehen.« Er faltete das Papier und steckte es weg. »Tut mir leid, kein Interesse. Ich werde zusehen, dass ich mich im neuen Jahr mit ihm treffe. Unter vier Augen und in ungezwungener Atmosphäre.«
    »Aber der Kaiser …« Charlotte blickte ihren Onkel mit großen Augen an. »Ich habe Wilhelm noch nie aus der Nähe gesehen.«
    »Das wird dir auch an diesem Abend kaum gelingen«, erwiderte der Forscher. »Vermutlich wird er von einer ganzen Armee von Sicherheitsbeamten abgeschirmt. Abgesehen davon: So imposant ist er auch wieder nicht.«
    »Das ist doch egal. Stell dir all die interessanten Leute vor. Die schmucken Anzüge und Uniformen und die rauschenden Kostüme. Ich habe so etwas noch nie erlebt. Bitte, lass uns hingehen. Bitte, bitte.«
    Humboldt verdrehte die Augen. »Tu mir das nicht an. Ich verabscheue solche Veranstaltungen. Nichts gegen einen guten Vortrag, aber diese Veranstaltung riecht nach Staatsempfang. Da wird gedienert, gebuckelt, gekrochen und geschleimt. Jeder wird zusehen, dass er möglichst nah an Wilhelm und seine Gattin herankommt. Das hat nichts mit Forschung zu tun. Eher mit Politik, und Politik ist ein schmutziges Geschäft.«
    »Komm schon, bitte.« Charlotte ließ nicht locker. »Immerhin hat er an dich gedacht. Steht sonst noch etwas in der Einladung?«
    »Warte mal …« Humboldt drehte den Brief um. »Hier ist eine Notiz, aber wie es aussieht in einer anderen Schrift. Sie stammt von … ach, verdammt.« Er hielt die Karte ins Licht und schob seine Brille hoch. »Ich muss dringend mal zum Optiker. Kannst du das lesen?«
    Charlotte nahm den Brief. »Hier steht ein Name. Gertrud Bellheim. Seine Frau?«
    »Möglich, aber ich kenne sie nicht. Er muss geheiratet haben, als ich fort war. Was schreibt sie?«
    »Sehr geehrter Herr von Humboldt, im Namen meines Mannes möchte ich Sie und Ihre Begleitung ganz herzlich zum Vortrag am 27.12. um 20:00 Uhr in den Großen Hörsaal der Friedrich-Wilhelm-Universität einladen. Ich weiß, dass Sie sich nahegestanden haben und dass es ihm viel bedeuten würde, Sie an diesem Abend persönlich zu sehen. Bitte tun Sie mir den Gefallen und reden Sie ein paar Worte mit ihm. Dafür wäre ich Ihnen überaus dankbar. Hochachtungsvoll, Gertrud Bellheim«
    Humboldt nahm ihr den Brief aus der Hand und überflog die Zeilen noch einmal. »Seltsam«, murmelte er.
    »Was meinst du?«
    »Warum schreibt er nicht selbst? Und warum tue ich ihr einen Gefallen, wenn ich ein paar Worte mit ihm rede? Das klingt, als würde sie sich Sorgen machen.«
    Charlotte nickte. »Du hast vollkommen recht. Es klingt tatsächlich sehr seltsam. Ich finde, du solltest der Sache auf den Grund gehen. Das wird dir allerdings nur gelingen, wenn du dort erscheinst. Und ich mit dir.« Sie schenkte ihrem Onkel ein verführerisches Lächeln.
    Der Forscher zog eine Braue in die Höhe. »Sagst du das, weil es dich wirklich interessiert oder weil du zu dem Empfang willst?«
    Er hielt den Brief näher ans Gesicht, in dem vergeblichen Bemühen, ihm weitere Geheimnisse zu entlocken, doch irgendwann gab er auf. »Also gut«, seufzte er. »Du hast gewonnen.«
    »Danke!« Charlotte umarmte ihren Onkel und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. »Du bist der Beste.«
    Die Tür zur Schreibstube ging einen Spalt weit auf. Ein sommersprossiges Gesicht mit roten Zöpfen lugte hervor. Es war Lena. »Was ist denn jetzt mit dem Unterricht, Herr von Humboldt? Kommen Sie noch mal zurück, oder sollen wir unsere Sachen zusammenräumen?«
    »Ihr könnt zusammenräumen«, sagte der Forscher. »An Unterricht ist sowieso nicht mehr zu denken. Helft Eliza in der Küche, füttert die Pferde, danach könnt ihr den Baum schmücken. Und vergesst nicht, vorher das Klassenzimmer aufzuräumen und die Tafel zu wischen. Ich will, dass alles blitzblank ist, ehe wir Bescherung machen.«
    »Juhuu!« Ein stürmisches Gerenne und Getrampel war zu hören. Kichern und Lachen schallte zu ihnen herüber.
    Humboldt strich sich über die Stirn. »Wenn ich gewusst hätte, was ich mir da für einen Sack Flöhe einhandle, hätte ich mir die Sache mit Oskars Freunden vielleicht noch mal überlegt.«
    »Ich bin sicher, du wirst das verkraften«, sagte Charlotte. »Es tut dir gut, wieder zu unterrichten. Seit die Kinder bei uns sind, höre ich dich viel öfter lachen.«
    »Ist das so?« Er seufzte. »Na, Hauptsache, die Arbeit leidet nicht
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