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Chroniken der Weltensucher 02 - Der Palast des Poseidon

Chroniken der Weltensucher 02 - Der Palast des Poseidon

Titel: Chroniken der Weltensucher 02 - Der Palast des Poseidon
Autoren: Thomas Thiemeyer
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sich um. Was auf der Brücke nur eine Vermutung gewesen war, wurde jetzt zur Gewissheit. Vier Leuchttürme mit exakt der gleichen Lichtfärbung und exakt der gleichen Kennung. Alle schienen ungefähr gleich weit entfernt zu sein, so, als würden sie die Kornelia umzingeln.
    »Unmöglich«, flüsterte Vogiatzis. »Einfach unmöglich.« Er wischte das Wasser aus seinem Gesicht. Das Phänomen war unheimlich und faszinierend zugleich.
    Während er so dastand und sich fragte, was zum Teufel er jetzt tun sollte, kam es ihm auf einmal so vor, als würden die Lichter größer. War das möglich? Er wartete eine Weile, dann konnte es keinen Zweifel mehr geben. Was immer das war, es näherte sich.
    Vogiatzis schob sein Kinn vor. Also doch Schiffe, schoss es ihm durch den Kopf. Vielleicht Piraten. Das war die einzige logische Erklärung. Das würde auch das Verschwinden der anderen Schiffe erklären. Womöglich hatten die Halunken es geschafft, die Lichtsignatur des Leuchtturms zu kopieren, um die Schiffe in die Falle zu locken. Und jetzt wollten sie seinen Frachter kapern.
    Nur über seine Leiche.
    Vogiatzis hatte zwei Pistolen in seinem Waffenschrank. Kampflos würde er ihnen die Kornelia nicht überlassen.
    Er stolperte zurück zur Brücke. Wenn er nur nicht zu spät kam. Die Lichter waren schon bedrohlich nahe.
    Ein plötzlich aufzuckender Blitz tauchte das Meer in gleißende Helligkeit.
    Vogiatzis blieb wie angewurzelt stehen. Er konnte nicht anders. Was er gesehen hatte, war einfach nicht möglich.
    Das waren keine Schiffe.
    Es waren auch keine Leuchttürme.
    Er wusste nicht, was es war, nur, dass er so etwas noch nie zuvor gesehen hatte. Vier riesige Klauen ragten wie Finger aus dem Wasser. Sie waren gewaltig und überragten die Kornelia um mindestens zwanzig Meter. Vogiatzis erkannte, dass ihre Oberfläche wie die eines Riesenkraken alt und vernarbt aussah. Die Fingerknochen waren dick und verknorpelt und die Gelenke knarrten wie verrostete Scharniere. Das Wesen musste unglaublich alt sein. Ein Titan aus der Tiefsee, schoss es Vogiatzis durch den Kopf. Aufgestiegen, um sie zu vernichten. An den Enden der Krakenarme leuchteten feurige Augen, die bösartig auf ihn heruntersahen.
    Über das Brausen des Windes hinweg ertönte ein bedrohliches Rauschen. Die Arme kamen auf das Schiff zu. Als sie sich bis auf zehn Meter genähert hatten, beugten sie sich herab. Die monströsen Krallen schossen nach unten, dann schlugen sie auf dem Oberdeck ein. Ein furchtbares Krachen ertönte. Funken sprühten, dann verloschen die Lichter.
    Die Kornelia sackte zum Bug hin ab. Vogiatzis wurde von den Beinen gefegt. Er konnte sich nicht festhalten und schlitterte mit den Füßen voraus über das klatschnasse Deck. Kisten und Fässer lösten sich und rutschten hinterher. Wie durch ein Wunder wurde er nicht getroffen. Er prallte gegen die Ankerwinde und wurde in hohem Bogen über Bord geschleudert. Der Aufprall presste ihm die Luft aus der Lunge. Ein brennender Schmerz fuhr ihm in die Schulter. Irgendetwas war mit seinem Arm.
    Panisch schlug er um sich.
    Ehe er begriff, was mit ihm geschah, befand er sich im schäumenden und tosenden Meer. Um ihn herum trieben Holzteile und Bruchstücke von Schiffsaufbauten.
    Nicht weit von ihm entfernt entdeckte er einen Rettungsring. Mit letzter Kraft gelang es ihm, ihn zu packen und sich festzuhalten.
    Halb ohnmächtig klammerte er sich fest und beobachtete, wie die Kornelia von dem riesigen Meeresungeheuer in die Tiefe gezogen wurde. Bug voraus verschwand sie in der kochenden See. Ihr Todeslied klang wie der Schrei eines verendenden Wals. Es schäumte und blubberte, dann war von seinem Schiff nichts mehr zu sehen. Unter Wasser war noch ein Licht zu erkennen, dann erlosch auch das.
    Vogiatzis starrte in die Fluten. Die Kornelia war mit Mann und Maus untergegangen.



 
1
     
     
    Berlin, 10. Juni 1893 …
     
    Kurz hinter dem Magdalenenstift begann es zu regnen. Zuerst nur einzelne Tropfen, dann immer heftiger. Als Oskar das Alexanderufer erreichte, schüttete es wie aus Kübeln. Er zog die Mütze ins Gesicht und rannte zwischen den immer größer werdenden Pfützen in Richtung Karlstraße. Von dort fuhr er eine kurze Strecke mit der Straßenbahn, lief noch ein Stück zu Fuß und war wieder in seinem alten Revier. Hier war er früher auf Beutezug gegangen, hatte Taschen leer geraubt und Leute um ihre Wertsachen erleichtert.
    Eigenartig, seine alte Gegend wiederzusehen. Dabei war es erst zwei Monate her, dass
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