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Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir

Titel: Chronik der Vampire 06 - Armand der Vampir
Autoren: Anne Rice
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Sinne sind wie Fäden, die sich kreuzen und verknoten: Fühlen, Sehen, Schmecken, Riechen vermischen sich. Ich bin ganz aufgelöst.« Ich fragte mich mit müßiger Bosheit, ob ich ihn anfallen und packen könnte, ihn mit meiner größeren Geschicklichkeit und Schläue niederringen und sein Blut kosten könnte, ohne seine Einwilligung. »Darüber bin ich hinausgewachsen«, sagte er. »Und warum solltest du das aufs Geratewohl versuchen?«
    Das nannte ich Selbstbeherrschung. Der ältere, erfahrene Mann, der er war, gab eindeutig dem jüngeren, kräftigeren Fleisch den Ton vor, der weise Sterbliche mit der eisernen Autorität beherrschte die unsterblichen, übernatürlichen Kräfte. Was für eine Kraftmixtur! Herrlich, sein Blut zu trinken, ihn gegen seinen Willen zu nehmen! Es gibt kein größeres Vergnügen auf der Welt, als einen Gleichstarken zu vergewaltigen.
    »Ich weiß nicht«, murmelte ich, beschämt. Vergewaltigung ist unmännlich. »Ich weiß nicht, warum ich dich so beleidigend behandele. Du weißt, dass ich schnell fort wollte. Also, ich wollte einfach nur in diesen Mansardenraum und dann von hier verschwinden. Gerade dieser Art Vernarrtheit wollte ich aus dem Weg gehen. Du bist ein Wunderwerk für mich, und du denkst das Gleiche von mir, das finde ich wirklich köstlich.«
    Ich ließ meine Augen über seinen Körper gleiten. Ich war tatsächlich blind gewesen, als wir uns damals trafen, das stand fest.
    Er war »tod«-schick. Mit der Raffinesse vergangener Epochen, als Männer noch aufgeputzt wie Pfauen einherstolzieren durften, hatte er für seine Kleidung gold- und dunkelbraune Farbtöne gewählt. Er war blitzblank, wie geleckt, und hatte sich mit ausgesucht schönen Glanzpunkten aus purem Gold versehen - hier ein Armband für die Uhr, da ein paar Knöpfe und dort eine zierliche Nadel für seine modische Krawatte, dieses geschneiderte Stückchen Farbe, das die Männer dieses Zeitalters sich noch gönnen, als wollten sie, dass wir sie an dieser Schlinge nur um so leichter packen können. Selbst sein Hemd aus schimmernder Baumwolle hatte einen cremigen Ton, als hätten sich Sonnenlicht und warme Erde darin gefangen. Die Schuhe waren braun und glänzend wie Käferflügel. Er kam näher.
    »Du weißt, worum ich dich bitten will«, sagte er. »Du sollst dich nicht mit diesen unartikulierten Gedanken herumschlagen, nicht mit diesen neuen Erfahrungen und überwältigenden Erkenntnissen. Mach lieber ein Buch daraus. Für mich.« Diese Bitte kam völlig unvorhergesehen für mich. Ich war überrascht, auf angenehmste Art, aber dennoch überrumpelt. »Ein Buch? Ich? Armand?«
    Ich machte einen Schritt auf ihn zu, wendete mich dann abrupt ab und floh die Stufen hinauf zum Dachboden, rannte ohne Aufenthalt bis ins vierte Stockwerk. Die Luft hier war schwer und warm, von der Sonne aufgeheizt wie ein Backofen. Alles war trocken und süß duftend, das Holz aromatisch wie Weihrauch, der Fußboden rissig.
    »Kleines Mädchen, wo bist du?«, fragte ich. »›Kind‹ meinst du wohl«, sagte er.
    Er war mir nachgegangen, hatte sich etwas Zeit dabei genommen, anstandshalber. Er fügte hinzu: »Es war niemals hier.«
    »Wie kannst du das wissen?«
    »Wenn es ein Geist wäre, könnte ich es herbeirufen.« Ich warf einen Blick über die Schulter. »Diese Fähigkeit besitzt du? Oder würdest du mir das nur gern weismachen? Ehe du dich weiter vorwagst, sollte ich dir vorsichtshalber sagen, dass wir so gut wie nie die Fähigkeit zum Geistersehen haben.«
    »Ich bin in jeder Hinsicht etwas Neues«, sagte David. »Ich bin anders als die anderen. Ich bin mit anderen Kräften in eure dunkle Welt eingetreten. Wage ich zu sagen, dass wir, unsere Spezies, die Vampire, uns weiter entwickelt haben?«
    »Die konventionelle Bezeichnung ist dumm«, sagte ich. Ich schob mich weiter in den Dachboden hinein. Ich erspähte eine kleine, getünchte Kammer, verziert mit einem abblätternden Rosenmuster: große, plustrige viktorianische Rosen mit blassgrünen, fedrigen Blättern. Ich trat ein. Licht fiel durch ein hoch liegendes Fenster, aus dem ein Kind nicht hätte hinausschauen können. Kein Erbarmen, dachte ich. »Wer hat gesagt, dass hier ein Kind gestorben ist?«, fragte ich. Unter dem Schmutz der Jahre war alles unberührt. Ich spürte keine fremde Gegenwart. Es schien vollkommen und gerecht - kein Geist hier, mich zu trösten. Warum sollte ein Geist mir zuliebe seine behagliche Ruhe aufgeben?
    Die Erinnerung an dieses Kind, an seine
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