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Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Titel: Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr
Autoren: Anne Rice
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du wußtest, daß ich zurückkommen würde. Du wußtest, daß ich hier sein würde.«
    »Nein, nicht im Traum habe ich daran gedacht.«
    »Fang nicht wieder an zu weinen.«
    »Ich weine aber gern. Ich muß. Warum sollte ich es sonst so oft tun?«
    »Na, hör auf!«
    »Oh, das wird ein Spaß, nicht wahr? Du glaubst, du bist der Anführer dieses kleinen Zirkels, nicht wahr, und du wirst anfangen, mich herumzukommandieren.«
    »Wie bitte?«
    »Du siehst nicht einmal mehr aus wie der Ältere von uns beiden, und du warst es sowieso nie. Du hast dich durch mein schönes und unwiderstehliches Antlitz auf die simpelste und dümmste Weise täuschen lassen. Ich bin der Anführer. Mir gehört dieses Haus. Und ich sage, ob wir nach Rio gehen.«
    Er fing an zu lachen. Langsam erst, dann tiefer und freier. Wenn eine Bedrohlichkeit in ihm lag, dann nur in den machtvoll blitzenden Schwankungen seines Ausdrucks, in dem dunklen Glanz seiner Augen. Aber ich war mir nicht sicher, daß da überhaupt Bedrohlichkeit war.
    »Du bist der Anführer?« fragte er verächtlich. Die alte Autorität.
    »Jawohl. Du bist also weggelaufen … weil du mir zeigen wolltest, daß du ohne mich zurechtkommst. Du konntest allein jagen, und du konntest dir ein Versteck für den Tag suchen. Du brauchtest mich nicht. Aber hier bist du!«
    »Kommst du mit uns nach Rio oder nicht?«
    »Mit uns? Sagtest du ›uns‹?«
    »Ja.«
    Er ging zum nächstbesten Sessel und setzte sich. Allmählich dämmerte mir, daß er seine neuen Kräfte offenbar bereits voll im Griff hatte. Und ich konnte natürlich nicht erkennen, wie stark er wirklich war, indem ich ihn einfach nur anschaute. Der dunkle Ton seiner Haut verbarg zuviel. Er schlug die Beine übereinander und nahm eine lässige, entspannte Haltung ein, aber Davids Würde war unverändert zu erkennen.
    Vielleicht lag es daran, wie sein Rücken sich gerade an die Sessellehne schmiegte oder wie seine Hand so elegant auf dem Fußknöchel ruhte und wie der andere Arm sich der Armlehne des Sessels anpaßte.
    Nur das dichte, wellige braune Haar widerstand dieser Würde ein wenig, wie es ihm in die Stirn fiel, bis er schließlich, ohne es zu merken, den Kopf leicht nach hinten warf.
    Unversehens aber schmolz diese Haltung dahin; sein Gesicht zeigte die jähen Falten ernster Verwirrung und dann reine Bestürzung.
    Ich konnte es nicht ertragen. Aber ich zwang mich dennoch zu schweigen.
    »Ich habe versucht, dich zu hassen«, gestand er; seine Augen weiteten sich, und seine Stimme wäre fast erstorben. »Ich konnte es nicht. So einfach ist das.« Und einen Moment lang war die Bedrohlichkeit da, der große, übernatürliche Zorn, der aus ihm hervorloderte, bevor sein Gesicht jammervoll und dann nur noch traurig wirkte.
    »Warum nicht?«
    »Spiele nicht mit mir.«
    »Ich habe nie mit dir gespielt! Ich meine es ernst, wenn ich so etwas sage. Wieso kannst du mich nicht hassen?«
    »Ich würde den gleichen Fehler begehen, den du begangen hast, wenn ich dich hassen wollte«, sagte er mit hochgezogenen Brauen. »Siehst du nicht, was du getan hast? Du hast mir das Geschenk gegeben, aber mir die Kapitulation erspart. Du hast mich mit all deinem Können und all deiner Kraft herübergebracht, aber du hast mir nicht die moralische Niederlage abverlangt. Du hast mir die Entscheidung abgenommen und mir gegeben, was ich mir wünschen mußte, ob ich wollte oder nicht.«
    Ich war sprachlos. Es war alles wahr, aber es war die verfluchteste Lüge, die ich je gehört hatte. »Dann sind Mord und Vergewaltigung der Weg, der uns zur Herrlichkeit führt! Das kaufe ich dir nicht ab. Es ist dreckig. Wir sind alle verdammt, und jetzt bist du es auch. Das ist es, was ich dir angetan habe.«
    Er nahm es hin, als hätte ich ihm eine Serie von leichten Ohrfeigen gegeben; er verzog nur ein wenig das Gesicht und sah mich dann wieder fest an.
    »Du hast zweihundert Jahre gebraucht, um zu lernen, daß du es wolltest«, sagte er. »Ich wußte es in dem Augenblick, als ich aus der Betäubung erwachte und dich da auf dem Boden liegen sah. Du sahst aus wie eine leere Hülse. Ich wußte, du warst zu weit gegangen. Ich hatte entsetzliche Angst um dich. Und ich sah dich mit diesen neuen Augen.«
    »Ja.«
    »Weißt du, was mir da durch den Kopf ging? Ich dachte, du hättest eine Möglichkeit gefunden zu sterben. Du hast mir dein Blut bis auf den letzten Tropfen gegeben. Und jetzt warst du selbst dabei, vor meinen Augen zugrunde zu gehen. Ich wußte, daß ich dich liebte.
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