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Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Titel: Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr
Autoren: Anne Rice
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durchzuckte ihn, und ein leiser Schrei entrang sich seinen Lippen. »Ich liebe dich«, wisperte er.
    »Ja, und ich liebe dich«, antwortete ich; die Worte klangen erstickt an seiner Haut, als das Blut noch einmal heiß und unwiderstehlich hervorspritzte.
    Der Herzschlag wurde immer langsamer. Er taumelte durch seine Erinnerungen zurück bis zur Wiege, über die scharf unterschiedlichen Silben der Sprache hinaus, und er stöhnte vor sich hin, als höre er die Melodie eines uralten Liedes.
    Sein warmer, schwerer Körper schmiegte sich an mich, die Arme baumelten herab, der Kopf ruhte in meiner linken Hand, die Augen waren geschlossen. Das leise Stöhnen erstarb, und das Herz begann unvermittelt mit kleinen, gedämpften Schlägen zu rasen.
    Ich biß mir auf die Zunge, bis ich den Schmerz nicht mehr ertrug. Wieder und wieder stach ich mit meinen eigenen Fangzähnen hinein und bewegte die Zunge dabei nach rechts und nach links, und dann preßte ich den Mund auf den seinen, drückte seine Lippen auf und ließ ihm das Blut auf die Zunge rinnen.
    Es war, als stehe die Zeit still. Der unverwechselbare Geschmack meines eigenen Blutes füllte meinen Mund, während es in den seinen floß. Und dann plötzlich schlössen sich seine Zähne um meine Zunge. Sie schnappten zu, bedrohlich und scharf, mit all der sterblichen Kraft seiner Kiefer; sie schürften das Blut aus dem Schnitt, den ich eröffnet hatte, und bissen so heftig zu, daß es schien, als wollten sie meine Zunge durchbeißen, wenn sie nur könnten.
    Wilde Zuckungen durchpulsten ihn. Sein Rücken wölbte sich in meinem Arm. Und als ich jetzt zurückwich, den Mund voller Schmerzen, mit brennender Zunge, da raffte er sich auf, hungrig und immer noch blind. Ich schlitzte mir das Handgelenk auf. Hier kommt es, Geliebter. Hier kommt es, nicht in kleinen Tröpfchen, sondern aus dem Strom meines Wesens. Und als er jetzt seinen Mund an mich preßte, war es ein Schmerz, der bis zu den Wurzeln meines Wesens reichte und mein Herz mit einem brennenden Netz umschlang.
    Für dich, David. Trinke in tiefen Zügen. Werde stark.
    Es konnte mich nicht mehr umbringen, ganz gleich, wie lange es dauerte. Das wußte ich, und die Erinnerung an vergangene Zeiten, da ich es voller Angst getan hatte, erschienen mir jetzt unbeholfen und töricht, und sie verblaßten, noch während ich an sie dachte, und ließen mich hier allein mit ihm.
    Ich kniete nieder und hielt ihn fest, und ich ließ den Schmerz durch jede Vene und jede Arterie fließen, wie er es tun mußte. Und die Hitze und der Schmerz wurden so stark, daß ich langsam ganz zu Boden sank, und ich lag da und hielt ihn in den Armen, drückte mein Handgelenk fest an seinen Mund und hielt mit der Linken noch immer seinen Kopf. Ein Schwindelgefühl überkam mich. Das Klopfen meines eigenen Herzens verlangsamte sich bedrohlich. Er sog und sog, und vor der strahlenden Dunkelheit meiner geschlossenen Augen sah ich Tausende und Abertausende winziger Blutgefäße, die sich leerten und zusammenzogen und herabhingen wie die feinen schwarzen Fasern eines windzerzausten Spinnennetzes.
    Wir waren wieder in dem Hotelzimmer im alten New Orleans, und Claudia saß still auf ihrem Stuhl. Draußen in der kleinen Stadt blinkten hier und da trübe Lampen auf. Wie dunkel und schwer der Himmel war; nichts ließ die großartige Aurora kommender Städte ahnen.
    »Ich habe dir gesagt, ich würde es wieder tun«, sagte ich zu Claudia.
    »Wieso machst du dir die Mühe, es mir zu erklären«, fragte sie. »Du weißt genau, daß ich dir nie irgendwelche Fragen gestellt habe. Ich bin seit vielen Jahren tot.« Ich schlug die Augen auf.
    Ich lag auf den kalten Fußbodenfliesen, und er stand vor mir und schaute auf mich herab, und das elektrische Licht schien ihm ins Gesicht. Und seine Augen waren nicht mehr braun; sie waren erfüllt von einem sanft gleißenden, goldenen Licht. Ein unnatürlicher Glanz hatte seine glatte, dunkle Haut durchdrungen, sie um einen Hauch blasser werden lassen und ihr einen makellosen Goldton verliehen, und sein Haar hatte bereits jenen bösen, prachtvollen Schimmer. Alles Licht floß ihm zu und wurde von ihm reflektiert und umspielte ihn, als finde es ihn unwiderstehlich - diesen großen, engelhaften Mann mit dem ausdruckslosen, benommenen Gesicht.
    Er sprach nicht. Und ich konnte seine Miene nicht deuten. Aber ich kannte die Wunder, die er jetzt sah. Ich wußte, was er sah, wenn er sich umschaute, die Lampe betrachtete, den zerbrochenen Spiegel,
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