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Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Titel: Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr
Autoren: Anne Rice
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den Himmel da draußen. Er sah mich an. »Du bist verletzt«, flüsterte er. Ich hörte das Blut in seiner Stimme! »Stimmt das? Bist du verletzt?«
    »Um der Liebe Gottes willen«, antwortete ich mit wunder, rauher Stimme. »Wie kann es dich kümmern, ob ich verletzt bin?«
    Er wich vor mir zurück, und seine Augen wurden größer, als erweitere sich sein Sehvermögen mit jeder Sekunde, und dann drehte er sich um, und es war, als habe er vergessen, daß ich da war. Sein starrer Blick zeigte immer denselben verzauberten Ausdruck. Er krümmte sich vor Schmerzen vornüber, verzog das Gesicht und lief über die kleine Veranda zum Meer hinunter.
    Ich setzte mich auf. Das ganze Zimmer flimmerte. Ich hatte ihm jeden Tropfen Blut gegeben, den er hatte aufnehmen können. Der Durst war lähmend, und ich konnte mich kaum aufrecht halten. Ich schlang den Arm um das Knie und bemühte mich, dazusitzen und nicht vor lauter Schwäche gleich wieder umzufallen.
    Ich hob die linke Hand ins Licht und besah sie. Die kleinen Adern auf dem Handrücken waren erhaben, aber noch während ich hinschaute, glätteten sie sich. Ich fühlte, wie mein Herz lustvoll pumpte. Und so scharf und schrecklich der Durst auch war, ich wußte doch, daß er warten konnte. Ich wußte ebensowenig wie ein kranker Sterblicher, warum ich genas von dem, was ich getan hatte. Aber irgendeine dunkle Maschine in meinem Innern arbeitete fleißig und lautlos an meiner Wiederherstellung: Alle Schwächen mußten kuriert werden, damit ich wieder auf die Jagd gehen könnte.
    Als ich schließlich auf die Beine kam, war ich wieder ich selbst. Ich hatte ihm viel mehr Blut gegeben, als ich den anderen, die ich gemacht hatte, jemals gegeben hatte. Es war getan. Ich hatte es richtig gemacht. Er würde so stark werden! Guter Gott, er würde stärker sein als die Alten.
    Aber ich mußte ihn finden. Er starb jetzt. Ich mußte ihm helfen, auch wenn er versuchte, mich zu vertreiben.
    Ich fand ihn hüfttief im Wasser. Er fror und hatte solche Schmerzen, daß sein Atem in kleinen, keuchenden Stößen ging, sosehr er sich auch bemühte, leise zu sein. Er hatte das Medaillon, und die goldene Kette war um seine Faust geschlungen.
    Ich legte ihm den Arm um die Schultern, um ihn zu stützen. Es werde nicht lange dauern, sagte ich, und wenn es vorbei sei, sei es für immer vorbei. Er nickte.
    Nach einer Weile fühlte ich, wie seine Muskeln sich lockerten. Ich drängte ihn in die flache Brandung, wo wir unabhängig von unserer Kraft müheloser gehen konnten, und zusammen gingen wir den Strand hinunter.
    »Du wirst trinken müssen«, sagte ich. »Glaubst du, du kannst das allein?«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Gut, dann nehme ich dich mit und zeige dir, was du wissen mußt. Aber erst zu dem Wasserfall dort oben. Ich kann ihn hören. Kannst du ihn auch hören? Da kannst du dich waschen.«
    Er nickte und folgte mir mit gesenktem Kopf, die Arme um den Leib geschlungen, und hin und wieder straffte sich sein Körper unter den letzten krampfhaften Zuckungen, die das Sterben immer mit sich bringt.
    Als wir den Wasserfall erreicht hatten, sprang er mühelos über die tückischen Steine; er zog seine Shorts aus, stand nackt unter dem machtvoll herabrauschenden Wasser und ließ es über sein Gesicht, über seinen ganzen Körper und in die Augen fließen. Einmal schüttelte er sich am ganzen Leib und spuckte das Wasser aus, das ihm in den Mund geflossen war.
    Ich sah ihm zu und fühlte mich von Sekunde zu Sekunde stärker. Dann sprang ich in die Höhe, hoch über den Wasserfall, und landete oben auf dem Steilfelsen. Ich sah ihn dort unten, eine winzige Gestalt, die ein Stück weit abseits stand und zu mir heraufspähte.
    »Kannst du zu mir kommen?« fragte ich leise.
    Er nickte. Ausgezeichnet, er hatte mich gehört. Er trat zurück und machte einen mächtigen Satz, sprang aus dem Wasser und landete in der abschüssigen Felswand, nur wenige Meter weit unter mir, und seine Hände klammerten sich mühelos an die nassen, glitschigen Steine. Er kletterte herauf, ohne einmal hinunterzublicken, bis er neben mir stand.
    Ich gestehe, ich war erstaunt über seine Kraft. Aber es war nicht nur seine Kraft, sondern auch seine absolute Furchtlosigkeit. Und er selbst schien das gerade Geleistete schon wieder vergessen zu haben,. er spähte in die Ferne, zu den wallenden Wolken und in den sanft schimmernden Himmel hinauf. Er schaute die Sterne an und dann landeinwärts in den Dschungel, der sich oben über die Klippen
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