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Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Titel: Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis
Autoren: Anne Rice
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bald alle wieder ans Tageslicht heraufholen.
    So kümmerte ich mich denn weiter um meine Bildung. Ich unterhielt mich mit Sterblichen an Bushaltestellen, an Tankstellen, in eleganten Bars. Ich las Bücher. Ich staffierte mich in den neuesten Modeboutiquen aus, trug weiße Sporthemden, lässige Safarijacken oder graue Samtblazer mit Kaschmirschals. Ich puderte mir das Gesicht, um nachts in dem künstlichen Licht der Supermärkte, Hamburgerketten und Vergnügungslokale nicht aufzufallen.
    Ich lernte. Ich war verliebt.
    Mein einziges Problem war nur, daß Mörder, deren ich als Nahrung bedurfte, reichlich rar waren. In dieser Glitzerwelt voller Unschuld und Überfluß, voller Nächstenliebe, Frohsinn und satter Mägen, waren die üblichen Raubmörder und Halsaufschlitzer vergangener Epochen die reinste Mangelware.
    Also mußte ich hart arbeiten für meinen Lebensunterhalt. Andererseits war ich von Natur aus ein Jäger. Ich hatte eine Schwäche für diese dämmrigen, verräucherten Billardhallen, in denen sich die tätowierten ehemaligen Sträflinge trafen, ich hatte eine Schwäche für die schlüpfrigen Nachtklubs in den großen Betonhotels. Und ich erfuhr immer mehr über meine Killer - die Drogenhändler, die Zuhälter, die Mörder, die mit den Motorradgangs gemeinsame Sache machten.
    Und weniger denn je war ich gewillt, unschuldiges Blut zu trinken.
    Schließlich war die Zeit reif, meinen alten Nachbarn einen Besuch abzustatten, der Rockband Satans Night Out.
    An einem schwülen Samstagabend drückte ich gegen halb sieben Uhr auf die Klingel des Speicherstudios. Die hübschen jungen Sterblichen lungerten in ihren regenbogenfarbenen Seidenplünnen herum, rauchten Gras und meckerten über die lausigen Aussichten, ein Engagement an Land zu ziehen.
    Mit ihrem zottigen Haar glichen sie alttestamentarischen Engeln. Sie trugen ägyptischen Schmuck. Selbst für die Probe hatten sie sich die Gesichter und Augenlider geschminkt.
    Ein Blick genügte, und schon hatte ich sie in mein Herz geschlossen, Alex und Larry und die kleine, füllige Tough Cookie.
    Und in einem magischen Augenblick, in dem die Welt stillzustehen schien, verriet ich ihnen, wer und was ich war. Das Wort »Vampir« konnte sie freilich nicht erschüttern. Drakulazähne und -mäntel gehörten zum Fundus jeder besseren Rockband. Und dennoch bemächtigte sich meiner ein seltsames Gefühl, als ich die verbotene Wahrheit Sterblichen gegenüber laut aussprach. In ganzen zweihundert Jahren hatte ich kein einziges Mal jemandem ein Sterbenswörtchen verraten, dem es nicht ohnehin bestimmt war, unserer Zunft beizutreten. Nicht einmal meine verröchelnden Opfer hatte ich aufgeklärt, bevor sie ihre Augen für immer schlossen. Und jetzt nahm ich plötzlich kein Blatt mehr vor den Mund. Ich sagte diesen liebenswerten Geschöpfen auch, daß ich gerne als Sänger bei ihnen anfangen würde und daß wir alle, falls sie mir Vertrauen schenkten, reich und berühmt werden könnten. Und daß ich sie auf einer Welle übernatürlichen und gnadenlosen Ehrgeizes aus diesem Speicher in die große Welt schwemmen würde.
    Erst sahen sie mich mit verkniffenen Augen an, dann brachen sie in brüllendes Gelächter aus.
    Ich übte mich in Geduld. Warum auch nicht? Ich wußte, daß ich als Dämon in der Lage war, so gut wie alle menschlichen Töne und Bewegungen nachzuahmen. Aber woher sollten sie das schon wissen. Also setzte ich mich an das elektronische Klavier, griff in die Tasten und sang dazu. Erst ahmte ich ein paar Rocksongs nach, dann trug ich alte Lieder vor, die mir auf einmal wieder einfielen - französische Kanzonetten, tief in meiner Seele verborgen, doch niemals ganz verschüttet -, um dann zu schmissigeren Rhythmen überzuleiten, wobei ich ein kleines, überfülltes Theater in einem längst vergangenen Paris vor mir sah.
    Eine gefährliche Leidenschaft brodelte in mir, drohte, mich aus der Bahn zu werfen. Das war kein gutes Zeichen, aber ich sang unverdrossen weiterund hieb auf die weißen Tasten des Klaviers ein, und langsam fing etwas in meiner Seele an aufzubrechen. Und es war mir ganz gleich, daß diese sanften Sterblichen um mich herum von alldem eigentlich gar nichts wissen durften.
    Es genügte, daß sie begeistert waren, daß sie diese furchterregende, aus den Fugen geratene Musik mochten, daß sie vor Freude Schreikrämpfe bekamen und endlich von dem Zukunftsglauben beseelt waren, der ihnen so lange abgegangen war. Sie schalteten die Tonbandgeräte ein, und wir fingen
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