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Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Titel: Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis
Autoren: Anne Rice
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eines Hauses in der Sechsten Straße - einen Katzensprung von meiner Ruhestätte unter meinem Haus beim Lafayette-Friedhof entfernt - und fing so um 1984 mit ihren Proben an.
    Ich konnte das Jaulen der Elektrogitarren und den schrillen Gesang der Band gut hören. Das war keineswegs schlechter als die übliche Radiomusik, sogar um einiges melodischer. Trotz des wilden Schlagzeugs irgendwie romantisch. Das elektrische Klavier klang wie ein Cembalo.
    Und ich konnte mir gut vorstellen, wie diese Musiker aussahen. Das waren schlanke, sehnige und rundum sympathische junge Sterbliche, ein wenig wild in Kleidung und Gehabe, zwei Männer und eine Frau.
    So wollte ich mich denn erheben und mich dieser Rockband, die alle anderen Stimmen in meiner Umgebung übertönte, zugesellen. Ich wollte singen und tanzen.
    Das soll nicht heißen, daß dieser Wunsch gleich zu Anfang bewußte Natur gewesen wäre. Es war eher ein pochender Impuls, drängend genug allerdings, um mich meinem Grab zu entwinden.
    Die Welt der Rockmusik versetzte mich in einen Taumel der Begeisterung - allein schon, wie diese Sänger über Gut und Böse kreischten, sich zu Engeln oder Teufeln erklärten! Zuweilen kamen sie mir wie der fleischgewordene Wahnsinn vor. Und doch hatten der technische Schliff und die Komplexität des Ganzen etwas Bestechendes. Ich glaube kaum, daß vergangene Epochen jemals etwas derart Barbarisches und zugleich Faszinierendes gekannt haben dürften.
    Selbstverständlich war all diese Raserei rein metaphorisch. Keiner dieser Sänger glaubte an Engel oder Teufel, egal, wie überzeugt sie sich gaben. Da waren die Typen der alten italienischen Commedia dell’arte nicht weniger schockierend, phantasievoll und unzüchtig gewesen. Und doch war das etwas völlig Neues, dieser Hang zum Extremen, diese herausfordernde Brutalität - und von den ärmsten Schluckern bis zu den dicksten Geldprotzen lag ihnen die ganze Welt zu Füßen. Außerdem hatte diese Rockmusik etwas Vampirisches an sich. Sie muß selbst denen, die nicht an das Übernatürliche glaubten, übernatürlich vorgekommen sein. Ich denke da an endlose elektronische Töne, an die Art und Weise, wie Harmonie auf Harmonie geschichtet werden konnte, bis man sich in den Klangteppich verwoben fühlte. Diese Musik war der reinste Hexensabbat. Nein, derlei hatte die Welt bislang noch nicht erlebt.
    Und ich wollte mich ranschleichen, wollte mitmachen, dieser kleinen, unbekannten Band vielleicht zum Durchbruch verhelfen. Ich war bereit, mein Grab zu verlassen.
    Es dauerte eine geschlagene Woche, bis ich fähig war, mich zu erheben. Ich ernährte mich vom Blut kleiner Tiere, die unter der Erde leben - wenn ich sie erwischte. Dann kroch ich der Oberfläche entgegen, wo ich mich an Ratten schadlos hielt. Einmal in Übung, war es nicht mehr schwierig, einiger Katzen habhaft zu werden und schließlich eines menschlichen Opfers, obgleich ich ziemlich lange auf meinen bevorzugten Leckerbissen warten mußte - einen reuelosen Mörder.
    Schließlich kam einer des Wegs, ein junger unrasierter Mann, der jemanden in einer gottverlassenen Gegend am anderen Ende der Welt um die Ecke gebracht hatte. Ein Killer vom Scheitel bis zur Sohle. Dieser erste Kampf, dieser erste Schluck Menschenblut -unvergleichlich!
    Ein paar Plünnen aus den Häusern der Umgebung stehlen, ein bißchen Gold und Schmuck aus meinen Verstecken im Lafayette-Friedhof holen, das war völlig unproblematisch.
    Ab und zu bekam ich es freilich mit der Angst zu tun. Der Gestank von Chemikalien und Auspuffgasen schlug mir auf den Magen, und meine Ohren schmerzten vom Gedröhne der Klimaanlagen und Flugzeuge. Aber schon in der dritten Nacht knatterte ich auf einer großen Harley-Davidson durch New Orleans und produzierte nun meinerseits reichlich Lärm. Ich hatte Hunger und war auf der Suche nach neuen Mördern. Ich trug echt scharfe Lederkleidung, die von meinen Opfern stammte, und in meiner Tasche hatte ich einen kleinen Walkman, durch dessen winzige Kopfhörer Bachs Kunst der Fuge in meine Ohren drang, während ich durch die Gegend flitzte.
    Ich war wieder der Vampir Lestat. Ich war wieder voll in Aktion. New Orleans war von neuem mein Jagdrevier.
    Und meine Kondition? Besser denn je. Ich konnte von der Straße auf die Dächer dreistöckiger Gebäude springen. Ich konnte Eisengitter von den Fenstern reißen. Ich konnte Kupfermünzen zwischen zwei Fingern zerknicken. Ich konnte kilometerweit menschliche Stimmen und Gedanken aufnehmen, wenn mir
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