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Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Titel: Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir
Autoren: Anne Rice
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Namen nannte. Doch dieser sagte nur kurz: »Ja, das ist mein Name«, und fuhr in seiner Erzählung fort.
    »Nun, da lag ich also da, hilflos vor meiner eigenen Feigheit und Dummheit«, sagte er. »Vielleicht hätte ich allmählich den Mut gefunden, mir selber das Leben zu nehmen und nicht andere anzujammern, es für mich zu tun. Ich sah mich im Geist ein Messer ergreifen und mir in die Brust stoßen oder mich die Treppe hinabstürzen und mir das Genick brechen, so wie es meinem Bruder widerfahren war.
    Doch es war keine Zeit mehr, Mut zu fassen. Oder besser gesagt, Lestats Pläne ließen mir keine Zeit. ›Hör mir zu, Louis‹, sagte er und streckte sich neben mir auf den Stufen aus, mit so anmutigen Bewegungen, daß ich an einen Liebhaber denken mußte. Ich wich zurück, doch er umfing mich mit dem rechten Arm und zog mich an seine Brust. Nie zuvor war ich ihm so nahe gewesen, und ich konnte im Halbdunkel seine Augen leuchten sehen und sein Gesicht, das wie eine unnatürliche Maske war. Als ich mich rühren wollte, legte er mir die Finger auf die Lippen und sagte: ›Sei still. Ich werde dir jetzt das Blut aussaugen, bis du an die Schwelle des Todes gelangst; und du mußt ruhig sein, so ruhig, daß du glaubst, das Blut durch deine Adern fließen zu hören, so ruhig, daß du hören kannst, wie dein eigenes Blut auch durch meine Adern fließt. Du brauchst deinen Willen, dein ganzes Bewußtsein, um dich am Leben zu erhaltene Ich wollte mich wehren, doch er drückte mich so fest und hielt meinen Körper umfangen, und sobald ich meinen nutzlosen Widerstand aufgab, grub er seine Zähne in meinen Hals.«
    Der Junge machte große Augen. Er war mehr und mehr in seinem Stuhl zurückgewichen, während der Vampir erzählte, und jetzt war sein Gesicht angespannt, und er kniff die Augen zusammen, als erwartete er einen Schlag. »Hast du jemals eine große Menge Blut verloren?« fragte der Vampir.
    »Kennst du das Gefühl?«
    Die Lippen des Jungen formten sich zu einem Nein, doch es kam kein Ton heraus. Er räusperte sich. »Nein«, sagte er schließlich.
    »Oben in dem Zimmer, wo wir den Tod des Aufsehers geplant hatten, brannten Kerzen. Auf der Terrasse schwankte eine Öllampe im Nachtwind. Und all dies Licht verschmolz und schimmerte, als ob eine goldene Erscheinung über mir schwebte, und durchdrang das Treppenhaus wie ein feiner Rauch. »Hör zu und halte deine Augen auf‹, flüsterte Lestat, die Lippen an meinem Hals. Ich erinnere mich, daß sich mir bei der Bewegung seiner Lippen die Haare am ganzen Körper sträubten und mich eine Empfindung durchfuhr, die den Freuden der Lust nicht unähnlich war…«
    Er grübelte, zwei Finger unter das Kinn gelegt. »In wenigen Minuten war ich wie gelähmt. Entsetzt merkte ich, daß ich mich nicht einmal zwingen konnte zu sprechen. Noch immer hielt mich Lestat umfangen, und sein Arm war wie eine Eisenklammer. Er zog seine Zähne so heftig zurück, daß die beiden schmerzenden Einstiche mir ungeheuer groß erschienen. Und dann beugte er sich über meinen willenlosen Kopf, nahm die rechte Hand von mir und biß sich selber ins Handgelenk. Das Blut schoß heraus und floß mir über Hemd und Rock, und er sah es mit gespannten, leuchtenden Augen fließen. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, und der Lichtschimmer hing jetzt wie ein Heiligenschein hinter seinem Kopf. Ich glaube, ich wußte, was er tun wollte, noch ehe er es tat, und ich wartete in meiner Hilflosigkeit, als hätte ich seit Jahren gewartet. Er drückte sein blutendes Handgelenk an meinen Mund und sagte eindringlich, ein wenig ungeduldig: ›Trink, Louis.‹ Und ich gehorchte. ›Weiter, Louis‹ und ›Schneller‹ flüsterte er mir mehrmals zu. Ich trank das Blut und erlebte zum ersten Mal wieder seit meiner frühesten Kindheit das Vergnügen, Nahrung einzusaugen, Körper und Geist auf nichts als auf die einzige Lebensquelle konzentriert. Dann geschah etwas.« Der Vampir lehnte sich zurück, mit einem leichten Stirnrunzeln.
    »Wie jämmerlich, etwas beschreiben zu wollen, was man gar nicht beschreiben kann«, sagte er, fast flüsternd. Der Junge saß wie erstarrt da.
    »Ich sah nichts als das Licht, während ich das Blut saugte. Und dann - dann kam… ein Ton. Ein dumpfes Dröhnen zuerst, und dann wie das Schlagen einer Trommel, lauter und lauter, wie wenn eine riesenhafte Kreatur langsam durch einen dunklen und fremden Wald auf dich zukommt und dabei eine ungeheure Trommel schlägt. Und dann eine zweite Trommel, als ob ein
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