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Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Titel: Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir
Autoren: Anne Rice
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schwand. Ich bedauere nur, daß ich dem Vorgang nicht mehr Aufmerksamkeit schenkte. Lestat erwies sich als ein völliger Dummkopf. ›Oh, um der Hölle willen!‹ rief er. ›Weißt du, daß ich gar nicht für dich vorgesorgt habe? Was bin ich für ein Idiot!‹ Ich war versucht zu sagen, ja, das bist du, doch ich schwieg. »Du wirst dich heute morgen mit mir schlafen legen müssen. Ich habe dir keinen Sarg besorgt.«
    Der Vampir lachte. »Der Sarg erregte einen solchen Schrecken in mir, daß ich seitdem über nichts mehr erschrecken konnte. Ich konnte mich nur noch schwach darüber wundem, daß ich mit Lestat einen Sarg teilen sollte. Er war inzwischen in das Schlafzimmer seines Vaters gegangen und sagte dem alten Mann auf Wiedersehen und daß er am Morgen wiederkommen würde. ›Aber wohin gehst du‹, wollte der Alte wissen, »was ist das für eine Tageseinteilung!‹ Lestat wurde ungeduldig. Bisher war er gütig zu seinem Vater gewesen, so sehr, daß es manchmal fast peinlich war, doch nun wurde er grob. ›Ich kümmere mich um dich, nicht wahr? Du hast durch mich ein besseres Dach über dem Kopf, als ich es je bei dir hatte. Wenn ich Lust habe, den ganzen Tag zu schlafen und nachts zu trinken, dann werde ich es tun, zum Donnerwetter!‹ Der Alte begann zu wimmern. Nur die besondere Erregung, die ich emp fand, und die ungewöhnliche Erschöpfung, die mich befallen hatte, hinderten mich, meine Mißbilligung zu äußern. Ich beobachtete die Szene durch die offene Tür, fasziniert von den Farben der Bettdecke und in dem Gesicht des Alten. Die blauen Adern pulsierten unter dem Rosa und Grau des Fleisches, und sogar die gelben Zähne fesselten mich, und ich betrachtete fast hypnotisiert das Beben seiner Lippen. ›So ein guter Sohn, so ein guter Sohn‹, murmelte er. Natürlich hatte er von der wahren Natur seines Sohnes keine Ahnung. ›Also gut, geh nur. Ich weiß, du hast irgendwo eine Frau; du gehst zu ihr, sobald ihr Mann morgens das Haus verläßt. Gib mir meinen Rosenkranz. Wo ist mein Rosenkranz?‹ Lestat sagte etwas Blasphemisches und gab ihm den Rosenkranz…« »Aber…« Der Junge stutzte und wollte etwas sagen. »Ja?« sagte der Vampir. »Ich fürchte, ich lasse dich nicht genug Fragen stellen.« »Ich wollte fragen - Rosenkränze haben doch Kreuze, nicht wahr?« »Ach, das Gerede von den Kreuzen!« Der Vampir lachte. »Du meinst, wir fürchten uns vor Kreuzen?«
    »Sie können den Anblick nicht ertragen, dachte ich.« »Unsinn, mein Freund, der reine Unsinn. Ich kann anblicken, was ich will. Und Kreuze sehe ich besonders gern.«
    »Und was hat es mit den Schlüssellöchern auf sich? Daß Sie… sich in Dampf verwandeln und hindurchgehen?«
    »Ich wollte, ich könnte es«, sagte der Vampir lachend. »Es wäre wirklich reizend. Wie gern würde ich durch die verschiedensten Schlüssellöcher schlüpfen und ihre besonderen Formen auskosten. Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Das ist… wie würde man heute sagen - Quatsch?« Der Junge mußte lachen. Dann wurde sein Gesicht ernst. »Nur nicht so schüchtern«, sagte der Vampir. »Was gibt es noch?« Der Junge errötete. »Die Geschichte von den Stäben - die durch das Herz gestochen werden…«
    »Ebenfalls Quatsch«, sagte der Vampir und betonte das Wort so, daß der Junge lächeln mußte. »Keinerlei magische Kräfte. Warum willst du nicht eine Zigarette rauchen? Ich sehe, du hast welche in der Hemdtasche.«
    »Ach ja, danke«, sagte der Junge, als wäre es ein wunderbarer Vorschlag. Aber als er die Zigarette zwischen den Lippen hielt, zitterten seine Hände und das Streichholz zerbrach.
    »Gestatte«, sagte der Vampir, nahm ihm die Streichhölzer ab und zündete die Zigarette an. Der Junge tat einen Zug, die Augen auf den Fingern des Vampirs, der sich mit einem leisen Rascheln seiner Kleidung auf die andere Seite des Tischs zurückzog. »Auf dem Waschbecken steht ein Aschenbecher«, sagte der Vampir, und der Junge stand nervös auf, ihn zu holen. Er starrte auf die wenigen Zigarettenkippen darin, und als er den kleinen Papierkorb erblickte, leerte er den Aschenbecher aus und stellte ihn schnell auf den Tisch. Seine Finger hinterließen feuchte Spuren auf der Zigarette, als er sie ausdrückte. »Ist dies Ihr Zimmer?« fragte er.
    »Nein. Nur irgendein Zimmer.«
    »Was geschah weiter?« fragte der Junge.
    Der Vampir schien damit beschäftigt, dem Rauch nachzuschauen, der sich unter der elektrischen Birne kräuselte. »Ja… wir kehrten schnellstens nach New
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