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Chronik der Nähe

Chronik der Nähe

Titel: Chronik der Nähe
Autoren: Annette Pehnt
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Rügen. Prächtiger Eingang,
golden schimmernder Pool, Strandpromenade, frische Luft muss nicht sein, muss
gar nicht sein, da warst du noch nie: Das wird unser Ort, der schönste, den es
gibt.
    â€“ Mama, wir fahren, wir machen es. Ich habe etwas Wunderbares
gefunden, es wird dir guttun, ich meine, es wird dir gefallen, es gibt auch
Massagen und ein großes Zimmer mit schönem großen Sofa, alles schon gebucht.
    Nun zögerst du, aber ich bin gegen alle Zaudereien gewappnet, die
Arbeit, sagst du, und du kannst dir doch nicht einfach freinehmen, und teuer
wird es sein, auch keine passende Jahreszeit für die Ostsee, und ob wir nicht
doch die Kinder mitnehmen wollen, die hätten was davon, die könnten am Strand
buddeln, vor allem die Kleine, jetzt, wo sie nicht mehr so viel schreit.
    â€“ Mama, es geht doch darum, dass wir beide.
    Du klingst beklommen, eine Muttertochterreise, ob das gut geht.
    â€“ Das müssen wir doch erst mal ausprobieren, Mama, wir haben das
doch noch nie gemacht.
    â€“ Du, du hast das noch nie gemacht, ich schon.
    Aber wir fahren, drei Wochen später fahren wir wirklich, wir treffen
uns in der Mitte und trinken einen Kaffee am Bahnhof, und dann los.
    Ich habe die Kinder stundenlang ins Bett gebracht, habe Bilderbücher
gegen ihren Duft getauscht, noch eins lesen, die Finger durch die dünnen,
leicht verklebten Haare geführt, die Backen beschnuppert, noch etwas zu trinken
gebracht, alles auf Vorrat, bis ich besoffen bin, meine Töchter: ich die
Mutter, ab morgen ich die Tochter, so viel Liebe im Spiel, dass es kaum
auszuhalten ist. Ich drücke die Kinder, bis sie quieken und winke ihnen aus dem
Taxi wie eine Irrsinnige.
    Im Zug sitzt du schmal am Fenster und ordnest deinen Platz, hier die
Zeitung, gleich neben dir die Handtasche, eine Packung Taschentücher
griffbereit, bist du etwa erkältet.
    Ãœberschwänglich flute ich dir entgegen, überbordende Vorfreude.
Umarmen kann ich dich nur ungeschickt von oben, fasse dich um die Schultern,
während du den Kopf einziehst unter meiner Attacke. Die Schuhe ziehe ich gleich
aus, weil die Füße glühen, meine Jacke rutscht auf deine Knie. Als du die
Zeitung auffalten willst, greife ich nach deinen Fingern.
    â€“ Mama, es geht los, wir fahren wirklich, nur wir beiden, freust du
dich.
    Du nickst mir zu und holst eine Lesebrille aus der Handtasche, die
ich noch nie gesehen habe. Die klappst du auf, setzt sie behutsam auf die
Nasenspitze, die Zeitung schüttelst du sanft, um die Knicke aufzulockern, und
wirfst mir, bevor du anfängst zu lesen, noch einen Blick zu, einen geduldigen,
ein wenig spöttischen, komplizierten Blick, der mich endlich zum Schweigen
bringt. Ich lehne mich zurück und schaue aus dem Fenster, Flächen in Braun und
Grün: Wo wir sind, ist mir egal.
    Ein Picknick habe ich eingepackt und richte es auf dem Tischchen am
Fenster, breite eine Serviette aus, schraube Tee auf, für dich Radieschen, die
du so magst, sogar an einen winzigen Salzstreuer habe ich gedacht.
    â€“ Früher hatten wir nie genug zu trinken dabei, sagst du.
    â€“ Das hätte ja auch nicht in deine Handtasche gepasst.
    â€“ Stimmt, diese hässlichen Rucksäcke, mit denen ihr alle herumlauft,
die gab es ja damals noch nicht.
    Riskant: Ich könnte schmollen (mein Rucksack ist nicht hässlich), du
könntest trotzen (deine Handtasche war unzulänglich, du hast nicht gut genug
für uns gesorgt). Bang warte ich einen Moment, ob dein Blick sich kühl
verhärtet, aber du bleibst vergnügt, beißt in ein Radieschen und lächelst
kopfschüttelnd über den kleinen Salzstreuer: wie praktisch.
    Der Bahnhof auf Rügen ist jämmerlich, die Straßen schlecht
beleuchtet, seltsam breite, leere Gehwege, auf denen wir langsam unsere Koffer
ziehen. Auf einmal gerate ich außer Atem, fange an zu trippeln, falle etwas
zurück und lasse dich vorgehen, frage auch nicht, ob ich dir etwas abnehmen
soll, weil du langsam, aber beharrlich vorangehst und, soweit ich es von schräg
hinten sehen kann, amüsiert die Blicke schweifen lässt. Fischige Luft, diesige
Straßenlaternen, Unkraut zwischen den Pflasterfugen. Vor uns plötzlich der
leuchtende Hafen und das Hotel, noch prächtiger als erhofft.
    Wir werden über gläserne Aufzüge und dunkelblau golden gemusterte
Teppichflure zu unserem Zimmer geschickt. Kichernd scheitern wir am Türschloss,
ziehen immer wieder
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