Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition)
Autoren: Michelle Paver
Vom Netzwerk:
wieder ein, die er in der Hütte hatte liegen lassen.
    Torak, du Dummkopf! Machst schon am ersten Tag, an dem du allein bist, alles falsch.
    Allein.
    Das konnte nicht sein. Fa konnte ihn nicht einfach verlassen haben und nie mehr zurückkommen!
    Erst nach einer Weile nahm er das leise Maunzen wahr, das von der anderen Seite des Hügels an sein Ohr drang.
    Da, schon wieder. Ein Tierjunges rief nach seiner Mutter.
    Sein Herz machte einen Satz. Dank sei dem Geist! Eine leichte Beute. Bei dem Gedanken an frisches Fleisch knurrte ihm der Magen. Um was für ein Tier es sich handelte, kümmerte ihn nicht. Er hatte solchen Heißhunger, dass er sogar eine Fledermaus verspeist hätte.
    Torak ließ sich auf den Bauch fallen und kroch zwischen den Birken hindurch bis zur Hügelkuppe.
    Unter sich sah er eine schmale Rinne, durch die ein kleiner Fluss gurgelte. Torak erkannte ihn wieder. Es war das Flinkwasser. Im Sommer hatten Fa und er oft ein Stück weiter westlich ihr Lager aufgeschlagen und Lindenrinde gesammelt, aus der man Seile fertigen konnte. Diese Stelle kam ihm allerdings fremd vor. Dann begriff er, warum.
    Vor nicht allzu langer Zeit war ein Sturzbach vom Gebirge herabgekommen. Inzwischen war das Wasser wieder abgelaufen und hatte nasses, zerzaustes Unterholz und grasverklebte Schösslinge hinterlassen. Auch die Wolfshöhle am gegenüberliegenden Ufer war zerstört. Die beiden ertrunkenen Wölfe am Fuß eines mächtigen roten Felsens, der wie ein schlafender Auerochse aussah, glichen triefnassen Fellumhängen. Daneben dümpelten in einer Pfütze drei tote Welpen.
    Der vierte hockte zitternd daneben.
    Das Wolfsjunge musste etwa drei Monde alt sein. Es war mager und klatschnass und stieß unablässig leise, lang gezogene Klagelaute aus.
    Torak zuckte zusammen. Das Gewinsel versetzte ihn urplötzlich in eine andere Umgebung. Schwarzes Fell. Warme Dunkelheit. Nahrhafte Milch. Die Mutter leckte ihn sauber. Kleine, spitze Klauen und weiche, feuchte Schnauzen. Flaumige Welpen kletterten über ihn hinweg – er war der Jüngste im Wurf.
    Das Gesicht, das Torak heimsuchte, war so quicklebendig wie ein Blitz. Was hatte es zu bedeuten?
    Er griff nach seines Vaters Messer. Es ist nicht wichtig, was es bedeutet, ermahnte er sich. Gesichte machen nicht satt. Wenn du diesen Welpen nicht isst, bist du bald zu schwach zum Jagen. Und wenn man kurz vor dem Verhungern ist, darf man auch das Totemtier der eigenen Sippe töten.
    Der Welpe hob den Kopf und jaulte ängstlich.
    Torak lauschte – und verstand ihn .
    Er konnte es sich nicht erklären, aber er erkannte die hohen, schwankenden Töne wieder. Ihre Abfolge war ihm seltsam vertraut.
    Das kann nicht sein, dachte er.
    Wieder lauschte er dem Jaulen, spürte die Laute in sein Bewusstsein tropfen.
    Warum spielt ihr nicht mit mir? , fragte der Welpe das tote Rudel. Was hab ich denn jetzt wieder angestellt?
    Ein ums andere Mal. Etwas erwachte in Torak. Seine Nackenmuskeln spannten sich. Tief in seiner Kehle bildete sich eine Antwort. Er verspürte das Bedürfnis, den Kopf in den Nacken zu legen und in Geheul auszubrechen.
    Was war das? Er war sich selber fremd. Er war kein Junge mehr, kein Sohn, kein Mitglied des Wolfsclans – jedenfalls nicht nur . Er war auch ein Wolf.
    Ein kühler Windhauch ließ ihn frösteln.
    Im gleichen Augenblick hörte der Welpe zu jaulen auf und wandte sich nach ihm um. Sein Blick war verschwommen, aber er spitzte die großen Ohren und witterte. Er hatte Torak gerochen.
    Torak blickte auf das kleine, verängstigte Tier herab und verbot sich jegliches Mitleid.
    Er zog das Messer aus dem Gürtel und ging entschlossen den Hang hinunter.

Kapitel 3

    DER KLEINE WOLF begriff gar nichts mehr .
    Er hatte eben die Anhöhe über dem Bau erkundet, als das Flinke Nass angebraust kam, und jetzt lagen seine Mutter, sein Vater und seine Geschwister im Schlamm – und taten so, als wäre er überhaupt nicht da .
    Schon lange vor dem Hell hatte er sie immer wieder angestupst und in die Schwänze gezwickt, aber sie wollten sich einfach nicht rühren. Sie gaben keinen Laut von sich und rochen sonderbar nach Beute. Nicht die Art Beute, die vor einem weglief, sondern die Beute Ohn-Hauch, die man sofort fressen konnte.
    Der Welpe war nass, durchgefroren und schrecklich hungrig. Vergeblich hatte er immer wieder seiner Mutter die Mundwinkel geleckt und sie angebettelt, etwas Futterbrei auszuwürgen. Was hatte er denn diesmal angestellt?
    Er wusste ja, dass er das ungezogenste
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher