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Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition)

Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition)

Titel: Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition)
Autoren: Christiane V. Felscherinow , Sonja Vukovic
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anruft, darum habe ich ihr das geschenkt. Und dann habe ich ihr erklärt, wie das funktioniert, was eine SIM-Karte ist, wie man die einlegt und wie man Nummern speichert. Am nächsten Tag kam ihre erste SMS. Darin stand: „Dies ist meine erste SMS.“ Und dann ein Smiley!
    Eigentlich wollte Anette Dolmetscherin werden. Sie ist sehr sprachbegabt, spricht fließend Französisch und Englisch und sogar etwas Portugiesisch. Aber da sie sich das als junge Frau nicht so richtig zugetraut hat, machte sie eine Lehre als Tierarzthelferin. Leider brach sie die Ausbildung nach einem halben Jahr wieder ab.
    Wenn ihre Ausbilderin, eine korpulente, respekteinflößende Frau, sie mal etwas schroffer ansprach, weil es dringend war oder weil Anette einfach nur mal etwas mutiger und selbstbewusster agieren sollte, dann wollte sie am liebsten weinen. Sie kam mit Anweisungen, vor allem wenn sie im strengen Ton kamen, einfach nicht klar. Das erinnerte sie zu sehr an schlimme Situationen mit unserem Vater.
    Die letzten paar Male, als ich ihr eine SMS schrieb und sie sehen wollte, kam keine Antwort. Sie ist schlauer als ich, sie zieht sich zurück, wenn es ihr nicht gut geht.
    Zu meiner Mutter hat sie schon vor fast 30   Jahren den Kontakt abgebrochen. Damals hatte unsere Mutter den Gustav kennengelernt.
    Die beiden leben jetzt in Süddeutschland. Gustav erschien auf der Bildfläche, als wir etwa 20 waren. Er leitete eine Reinigungsfirma in Moabit, bei der unsere Mutter als Stenotypistin anfing. Alle Sekretärinnen dort umschwirrten den Boss. Es gab insgesamt fünf Vorzimmerdamen, und alle wollten Gustav. Der hatte 1963 als Auszubildender in der Firma angefangen und wurde dann zur rechten Hand des Chefs. Mit der New Economy wurde der Laden ganz groß, und Gustav bekam, da der Chef keine Kinder hatte, die Firma vererbt.
    Er ist auch ein durchaus attraktiver und charmanter Mann. Meine Mutter hat mir damals immer ganz verliebt erzählt, dass er ihr Blumen in die Schublade gelegt hatte. So begann das mit den beiden.
    Mit dem eigenen Chef etwas anzufangen, das wäre nichts für mich, und auch in der Firma fanden das viele nicht gerade toll.
    Meine Mutter ist schlimm gemobbt worden, weil alle wussten, dass sie die Geliebte des Chefs war. Beide waren damals Ende 30, Anfang 40. Aber es hat sich offenbar gelohnt: Zuerst haben sie gemeinsam in Stahnsdorf ein Haus gebaut. Gustav und meine Mutter gehörten jetzt zu den Neureichen und speisten mit allen großen Tieren am Tisch.
    Mit dem Klaus blieb sie aber weiter befreundet. Der Klaus hat mit Gustav zusammen die Sauna in das Haus in Stahnsdorf eingebaut. Meine Mutter weiß eben, wie man’s macht!
    Phillip hat mit Mädchen noch nicht so viel am Hut, glaube ich. Vielleicht sagt er es mir auch nur nicht. Wir reden nicht über Mädchen. Das fände ich auch blöd, das ist doch nur peinlich mit der eigenen Mutter. Neben dem Angeln sind Computer und das Surfen und Spielen im Internet Phillips große Hobbys. Am Anfang habe ich mir wirklich große Sorgen gemacht, weil der Junge Tag und Nacht vor dem PC und an seinem Handy mit Internetzugang zu hängen schien. Aber dann hat er mir nach und nach die Dinge erklärt und gezeigt, die er da macht. Es gibt Spiele, die spielt er mit seinen Freunden zusammen, selbst wenn er bei mir zu Hause in Teltow ist.
    Über das Internet sind die Jungs dann miteinander verbunden und reden sogar live miteinander und spielen in Echtzeit zusammen. Das ist zwar anders als damals, als wir noch Brettspiele oder Murmeln mit anderen Kindern gespielt haben, aber immerhin ist der Junge so mit seinen Freunden vernetzt. Das finde ich gut. Ich hatte immer Angst, dass er ein Einzelgänger wird. Aber im Gegenteil: Wenn ich mal zuschaue bei den Spielen, finde ich, dass er echten Teamgeist zeigt.
    Und als ich dann weiter darüber nachgedacht habe, wurde mir klar: Diese Welt, in die er da taucht, die ist für ihn so etwas wie eine Therapie. Da probiert er sich aus, er spricht sich aus, und er baut Dinge auf.
    Gerade für junge Männer ist es ja total wichtig, dass sie etwas schaffen können.
    Und er testet sein strategisches Denken und übt sich dabei ja auch noch in Geschichte und Politik. Denn in diesen Games geht es oft auch um Kolonialgeschichte, um religiöse Gruppen oder Planwirtschaft. Und er verdient mit dem PC inzwischen sogar Geld.
    Vom Jugendamt bekommt der Junge nur 25   Euro Taschengeld im Monat. Das ist nicht viel für einen 17-Jährigen. Gut, er hat alles, was er braucht, und
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