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Chocolat

Chocolat

Titel: Chocolat
Autoren: Joanne Harris
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ich heute erfolgreich bin, dann wird er auferstehen.
    Ich zittere. Ich esse trockenes Brot, um mir Mut zu machen. Der Kaffee ist heiß und bitter. Wenn ich mein Werk vollendet habe, verspreche ich mir, werde ich ein gutes Frühstück zu mir nehmen; Eier, Schinken und Brötchen von Arnauld. Bei dem Gedanken läuft mir das Wasser im Mund zusammen. Ich schalte das Radio ein und suche einen Sender, der klassische Musik spielt. Sheep May Safely Graze . Mein Mund verzieht sich zu einem harten, verächtlichen Grinsen. Dies ist nicht die Zeit für Schäferspiele. Dies ist die Stunde des Schweins, des schlauen Schweins. Ich drehe die Musik ab.
    Es ist fünf vor fünf. Wenn ich aus dem Fenster schaue, sehe ich den ersten hellen Streifen der Dämmerung am Horizont. Ich habe reichlich Zeit. Der Küster wird um sechs kommen, die Osterglocken zu läuten; mir bleibt mehr als genug Zeit, um meine heimliche Mission zu erfüllen. Ich ziehe die wollene Skimaske über, die ich mir für den Zweck zurechtgelegt habe; im Spiegel sehe ich verändert aus, gefährlich. Ein Saboteur. Darüber muß ich wieder grinsen. Mein Mund wirkt hart und zynisch. Fast hoffe ich, daß sie mich sieht.
    5.10 Uhr.
    Die Tür ist unverschlossen. Ich kann mein Glück kaumfassen. Es zeigt, wie sicher sie sich fühlt, wie sehr sie davon überzeugt ist, niemand könne ihr etwas zuleide tun. Ich lege den großen Schraubenschlüssel weg, mit dem ich die Tür hatte aufbrechen wollen, und nehme das schwere Kantholz – es ist Teil eines Fenstersturzes, Vater, der während des Krieges abgebrochen ist – in beide Hände. Die Tür öffnet sich geräuschlos. Eins von ihren roten Beutelchen baumelt über mir im Türrahmen; ich nehme es herunter und werfe es verächtlich auf den Boden. Zunächst fehlt mir die Orientierung. Das Haus hat sich verändert, seit es keine Bäckerei mehr ist, und im übrigen kannte ich mich mit den hinteren Räumlichkeiten sowieso nicht so gut aus. Nur ein ganz schwaches Licht spiegelt sich in den gefliesten Wänden, und ich bin froh, daß ich mir eine Taschenlampe mitgebracht habe. Ich schalte sie ein, und einen Moment lang werde ich regelrecht geblendet von all dem weißen Email – die Arbeitsflächen, die Spülbecken, die alten Backöfen, alles glänzt und schimmert im schmalen Lichtkegel der Taschenlampe. Es ist keine Schokolade zu sehen. Natürlich. Das ist nur die Küche, wo die Pralinen und Trüffel hergestellt werden. Ich bin mir nicht sicher, warum ich mich wundere, daß es hier so sauber ist; ich hatte sie für eine Schlampe gehalten, die Pfannen und Töpfe ungespült herumstehen läßt, gebrauchte Teller turmhoch im Spülbecken stapelt, lange schwarze Haare in den Essensresten. Aber alles ist makellos sauber und ordentlich; die Kasserollen stehen nach Größe geordnet in den Regalen, Kupfer neben Kupfer, Email neben Email, Porzellanschüsseln stehen griffbereit, und diverse Utensilien – große Kellen, Pfannen – hängen an den geweißten Wänden. Auf dem mit Gebrauchsspuren übersäten alten Tisch stehen mehrere Brotformen aus Keramik. In der Mitte eine Vase mit einem Strauß halb verwelkter Dahlien, die einen unheimlichen Schatten werfen. Aus irgendeinem Grund machen die Blumen mich wütend. Welches Recht hat sie auf Blumen, wenn Armande Voizin tot in der Kapelle liegt? Das Schwein in mir wirft die Blumenvase um und grinst. Ich lasse ihmseinen Willen. Ich brauche seine Grausamkeit, um die Aufgabe zu erfüllen, die vor mir liegt.
    5.20 Uhr.
    Die Schokolade muß im Laden sein. Leise schleiche ich durch die Küche und öffne die schwere Kiefernholztür, die in den vorderen Teil des Hauses führt. Zu meiner Linken führt eine Treppe zu den im oberen Stockwerk gelegenen Wohnräumen. Zu meiner Rechten die Theke, die Regale, die Auslagen, die Schachteln … Ich bin erschrocken über den intensiven Duft von Schokolade, obwohl ich mit ihm gerechnet habe. Die Dunkelheit scheint ihn noch zu verstärken, so daß es mir einen Moment lang so vorkommt, als sei der Duft die Dunkelheit, die sich wie dichter, brauner Staub über mich legt und mir die Sinne vernebelt. Im Schein meiner Taschenlampe entstehen kleine Inseln des Lichts, buntes Papier, Schleifen, glitzerndes Cellophan leuchten abwechselnd auf. Ich bin mitten in der Schatzhöhle. Ein Schauer der Erregung läuft mir über den Rücken. Hier zu sein, im Haus der Hexe, ein Eindringling, unbemerkt. Heimlich, während sie schläft, ihre Sachen zu berühren … Ich verspüre den
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