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Chimären

Chimären

Titel: Chimären
Autoren: Alexander Kröger
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für uns ist das neu. Sag’ ihr das!“, wiederholte sie, und sie schämte sich, dem Harmlosen ihren eigenen Wunschtraum anzubieten, der ohne jede Aussicht auf Erfüllung war.
      „Ich sag’ es ihr.“
      Und Shirley schaute pikiert weg, als er am Pfeiler eines Gartentors abermals das Bein hob.

    „ W enigstens ein bisschen solltest du zu dir nehmen.“ Lux schob Schäffi den Napf mit der Abendnahrung ein Stück näher.
      „Ich habe keinen Hunger.“
      „Trotzdem. Du musst Kraft haben, wenn wir hier rauskommen.“
      Schäffi lag ausgestreckt, den Kopf zwischen den Vorderläufen. Teilnahmslos antwortete sie: „Wir kommen hier nicht raus – und wenn, du kennst meine Frage, was sollen wir draußen?“
      „Und ich antworte dir abermals: Wir müssen erkunden, wie es dort ist. Ich glaube, man wählt aus, was wir wissen sollen und was nicht. Ich habe gut überlegt. In der Nacht probiere ich es.“
      „Nicht, Lux!“
      „Doch! Über den Schuppen im Garten müsste es gehen.“
      „Es ist zu gefährlich!“
      „Ich werde aufpassen.“
      „Dann bin ich ganz allein.“
      „Nicht lange, ich komme selbstverständlich wieder. Und außerdem sind die ersten Neulinge bald herangewachsen. Der Moritz zum Beispiel. Mit dem kann man sich doch schon ganz gut unterhalten.“
      „Trotzdem, ich habe Angst.“ Schäffi hatte sich aufgerichtet und sah ihn an.
      „Iss!“, forderte Lux.

    Im matten Schein der Dämmerlampe blickte Lux noch einmal zur schlafenden Freundin, stellte befriedigt fest, dass ein Teil des Napfinhaltes fehlte, und streckte sich zur Klinke. Die eingerastete, aber nicht verschlossene Tür zum Garten war für Lux längst kein Hindernis mehr. Es gelang ihm fast geräuschlos, den Griff herunter zu drücken und ein Schnappen der Rückfeder zu vermeiden. Bedenken, die Nachtwache aufmerksam zu machen, hatte er nicht. Aber Schäffi wollte er nicht wekken. Noch vor dem späten Einschlafen hatte sie ihn beschworen, sein Vorhaben aufzugeben, keine unbedachten Schritte…
      Kein naher Laut durchdrang die sternenklare Nacht. Fernes, leises Verkehrsrumoren unterstrich die Stille. Der Vollmond stand schräg über dem Garten, und die Bäume warfen lange Schatten. Sein Licht und die Aussicht auf wolkenarmes Wetter hatten den Zeitpunkt für Lux’ Unternehmung mitbestimmt.
      Längst hatte er bedacht, wie er vorgehen wolle, um die Mauer zu überwinden. Für’s Überspringen war sie zu hoch. Ob aber sein Plan…
      Obwohl er sich sicher war, dass die Wachen den Garten nicht kontrollieren würden – ein Zugang zu den gesperrten Räumen bestand von ihm aus nicht und außerdem war da die Mauer – verhielt sich Lux vorsichtig. Er nutzte die Schatten der Bäume, um in deren Schutz zum Schuppen zu gelangen. Als er ihn erreicht hatte, verhielt er, lauschte. Danach erst öffnete er die aus Latten gefertigte nur angelehnte Tür, die leise knarrte, ‚Hoffentlich habe ich mich nicht überschätzt’, dachte er besorgt. Dann kroch er in den Spalt zwischen Boden und der winklig zur Wand abstehenden Tür. Tags hatte er sich die primitive Konstruktion genau eingeprägt. Das Lattengestell musste sich aus den kurzen Angeln heben lassen, wenn, ja wenn es nicht zu schwer war für die Kraft und die Wirbelsäule eines Schäferhundes.
      Die nicht entgrateten Latten pieksten durchs Fell. Lux krümmte sich und drückte mit aller Kraft nach oben. Die Last hob sich, aber nicht genug, um die Bolzen aus der Führung zu stoßen.
      Der Ausbrecher veränderte ein wenig seinen Standpunkt, indem er mehr der Schuppenwand zurückte, um eine Verkantung zu vermeiden. Er verschnaufte und setzte erneut zum Drücken an darauf bedacht, dass bei einem Erfolg die Tür nicht flach zu Boden schlagen, sondern sich an den Bau lehnen würde. Sie tat es nach einem Kraftaufwand, den aufzubringen Lux bislang nicht für möglich gehalten hätte.
      Lux wich ein Stück zurück, warf sich mit hängender Zunge auf den Rasen, beruhigte sich schnell und betrachtete sein Werk.
      Die Tür lehnte verkantet und wacklig an der Schuppenwand.
      Lux verbiss sich in eine der Randlatten und zerrte, dass unter seinen Krallen die Grasnarbe aufriss. Der Lattenrost bildete danach eine Schräge bis fast zur Dachkante.
      Noch einmal betrachtete Lux aus einiger Entfernung, diesmal befriedigt, sein Werk. Dann blickte er ein wenig wehmütig hinüber zur angelehnten Tür, hinter der er die schlafende Schäffi wusste. Mit einem kurzen
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